In die­sem und im letz­ten Jahr hört man zu mei­ner gro­ßen Freu­de den wun­der­ba­ren An­toi­ne Ta­mes­tit mehr­fach mit einem Werk im Kon­zert­saal, das selbst Ken­nern des Brat­schen­re­per­toires lange Zeit völ­lig un­be­kannt war: Jo­hann Ne­po­muk Hum­mels Pot­pour­ri op. 94 für Viola und Or­ches­ter.

Jo­hann Ne­po­muk Hum­mel (17781837)

„Ob­schon mir nun an der Zu­frie­den­heit der Ken­ner bei wei­tem am meis­ten ge­le­gen sein muss­te: so war mir doch auch an der der Nicht­ken­ner ge­le­gen“, schrieb Hum­mel 1828 in sei­ner An­wei­sung zum Pia­no-For­te-Spiel. Und tat­säch­lich war er zeit sei­nes Le­bens ein kom­po­si­to­ri­scher Die­ner zwei­er Wel­ten: Als Groß­her­zog­li­cher Ka­pell­meis­ter am Wei­ma­rer Hof etwa be­dien­te er die eta­blier­ten „se­riö­sen“ Gat­tun­gen – So­na­ten, Kla­vier­tri­os, So­lo­kon­zer­te, aber auch Mes­sen und Kan­ta­ten – ge­nau­so wie die po­pu­lä­ren, ge­fäl­li­gen For­men – Tänze aller Art, Amü­se­ments, Ba­ga­tel­len, Se­re­na­den und Fan­ta­si­en. In letz­te­re Ka­te­go­rie ge­hör­ten in jener Zeit auch die äu­ßerst be­lieb­ten Pot­pour­ris. Sie zu ver­fas­sen, war für Kom­po­nis­ten häu­fig eine leich­te Fin­ger­übung. Denn die we­sent­li­che Sub­stanz die­ser mu­si­ka­li­schen Al­ler­leis waren aus be­kann­ten Opern ent­lehn­te „Gas­sen­hau­er“, denen mit mehr oder we­ni­ger Auf­wand Ein­lei­tun­gen, Zwi­schen­spie­le und Fi­na­le bei­ge­ord­net wur­den. So ent­stan­den mit mi­ni­ma­lem Auf­wand akus­ti­sche Blu­men­sträu­ße zum Mit­sin­gen und Mit­pfei­fen.

Ti­tel­blatt der Erst­aus­ga­be

Auch Hum­mels Pot­pour­ri op. 94 (HN 838) aus dem Jahr 1820, in dem etwa 60 Pro­zent ent­lie­he­ne Musik ent­hal­ten ist, folgt zu­nächst die­sem Bau­plan und lässt gän­gi­ge Me­lo­di­en aus Mo­zarts Don Gio­van­ni, der Nozze di Fi­ga­ro und der Ent­füh­rung aus dem Se­rail sowie aus Ros­si­nis Tan­cre­di er­klin­gen. Um­rahmt wer­den sie von einer sehr ge­lun­ge­nen Gra­ve-Ein­lei­tung und einem Ron­do-Schluss­ab­schnitt, der einen ef­fekt­vol­len Kehr­aus bie­tet. Schon diese bei­den neu kom­po­nier­ten Teile zei­gen, dass Hum­mel weit mehr konn­te als die mit­tel­mä­ßi­gen Ar­ran­geu­re in die­ser Zeit. Er woll­te je­doch auch in die­sem Pot­pour­ri den „Nicht­ken­ner“ nicht gänz­lich aus der Pflicht neh­men und plat­zier­te daher genau in die Mitte der Kom­po­si­ti­on zu­sätz­lich eine sehr „se­riö­se“ Fuge (!). Dem Brat­schis­ten wird in all­dem nicht lang­wei­lig, Opus 94 ist ge­spickt mit ef­fekt­vol­len, teil­wei­se durch­aus vir­tuo­sen Pas­sa­gen.

Be­ginn der Fuge im Au­to­graph

Hatte Hum­mel mit der ein­ge­streu­ten Fuge noch den „Ken­nern“ etwas Nah­rung lie­fern wol­len, so war der Ver­lag C. F. Pe­ters in Leip­zig da doch er­heb­lich skep­ti­scher. Ver­mut­lich war er es, der den Kom­po­nis­ten noch vor der Ver­öf­fent­li­chung des Wer­kes im Jahr 1822 dazu dräng­te, einer Sprung­an­wei­sung in den Noten zu­zu­stim­men, die genau diese „stö­ren­de“ Fuge aus dem Vor­trag eli­mi­nie­ren würde. Doch auch diese Maß­nah­me konn­te nicht ver­hin­dern, dass das Pot­pour­ri im Laufe des 19. Jahr­hun­derts voll­stän­dig in Ver­ges­sen­heit ge­riet – zum Bei­spiel las­sen sich kei­ner­lei Nach­dru­cke von an­de­ren Ver­la­gen nach­wei­sen. Das­sel­be Schick­sal er­eil­te auch die al­ter­na­tiv mit Vio­lon­cel­lo solo be­setz­te Fas­sung des Werks, die ver­mut­lich von Hum­mel au­to­ri­siert ist und zur glei­chen Zeit im Druck er­schien.

Dass Hum­mels Pot­pour­ri heute in ver­stüm­mel­ter Form als „Fan­ta­sie“ unter Stu­die­ren­den, Pro­fis und Lieb­ha­bern be­kannt und be­liebt ist (schau­en Sie sich die un­zäh­li­gen Vi­de­os auf YouTube an), ver­dan­ken wir wohl zwei Ver­öf­fent­li­chun­gen des 20. Jahr­hun­derts. Zu­nächst er­schien im Jahr 1900 diese Fan­ta­sie-Fas­sung, die nur aus der Ein­lei­tung, dem Don Gio­van­ni-Ab­schnitt und dem Ron­do-Kehr­aus be­steht, in einer Samm­lung aus­ge­wähl­ter So­lo-Wer­ke für Viola, zu­sam­men­ge­stellt, mit Bo­gen­stri­chen und Fin­ger­sät­zen ver­se­hen von Cle­mens Meyer (Edi­ti­on Fi­scher No. 3253, Band 1). Und es dau­er­te schließ­lich bis 1973, bevor ein mo­der­ner No­ten­text die­ser Fas­sung bei Mu­si­ca Rara das Licht der Welt er­blick­te. Seit­dem ist die Fan­ta­sie vor allem aus dem Hoch­schul-Le­ben kaum mehr weg­zu­den­ken. Ihre „Mut­ter“ je­doch, das Pot­pour­ri, fris­tet bis heute ein Schat­ten­da­sein.

Tabea Zim­mer­mann

An­toi­ne Ta­mes­tit

 

Viel­leicht kann hier un­se­re 2007 er­schie­ne­ne Ur­text­aus­ga­be Gutes tun – zu­sam­men mit der vor ei­ni­gen Jah­ren bei Kun­zel­mann vom kürz­lich ver­stor­be­nen, hoch­ver­ehr­ten Franz Beyer vor­ge­leg­ten Edi­ti­on. Keine ge­rin­ge­re als Tabea Zim­mer­mann hat un­se­re Aus­ga­be be­zeich­net (eine un­be­zeich­ne­te Stim­me liegt eben­falls bei). Und in un­se­rer Henle Li­bra­ry App – und nur dort! – steu­er­te zu­sätz­lich An­toi­ne Ta­mes­tit seine Be­zeich­nung bei. Sie, liebe Brat­schis­ten, sind also bes­tens ge­rüs­tet, um dem Pot­pour­ri neues Leben ein­zu­hau­chen – viel­leicht auch samt der Fuge!

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