Wenn ein Blog über den „bönnschen Jung“ Beethoven auf den Rosenmontag fällt, kann es nur um eines gehen: Karneval! In der sogenannten fünften Jahreszeit wurde im Rheinland schon zu Ludwigs Lebzeiten kräftig gefeiert. Doch wussten Sie, dass Beethoven tatsächlich Karnevalsmusik komponiert hat?
Diesmal wollen wir Sie auch ganz bestimmt nicht auf den Arm nehmen wie in unserem Rosenmontags-Beitrag 2015, als wir ein angeblich neuentdecktes Karnevalslied von Beethoven veröffentlichten (wir bekamen tatsächlich ernst gemeinte Bestellwünsche zur gedruckten Ausgabe!).
Nein, Beethoven komponierte ganz im Ernst die Musik zu einer kostümierten Ballettaufführung, die am Faschingssonntag, dem 6. März 1791 in Bonn uraufgeführt wurde. Es handelt sich um die heute ziemlich vergessene Musik zu einem Ritterballett WoO 1, die aus acht Nummern besteht, darunter ein „Deutscher Gesang“, ein „Jagdlied“, ein „Deutscher Tanz“, ein „Minnelied“, und, besonders wichtig im Karneval, ein „Trinklied“. Hören Sie hier doch einmal hinein.
Der eigentümliche Titel „Ritterballett“ (der allerdings erst Jahrzehnte später von Beethovens Jugendfreund Franz Wegeler eingeführt wurde) deutet auf eine Kostümierung unter dem Motto „Deutsches Mittelalter“ hin, wie auch eine zeitgenössische Schilderung der Veranstaltung nahelegt:
Am Fastnachtssonntage führte der hiesige Adel auf dem Redoutensaale ein karakteristisches Ballet in altdeutscher Tracht auf. Der Erfinder desselben, Se. Exzellenz der Herr Graf von Waldstein, dem Komposition des Tanzes und der Musik zur Ehre gereichen, hatte darinn auf die Hauptneigungen unsrer Urväter, zu Krieg, Jagd, Liebe und Zechen Rücksicht genommen. Am 8. März [d.h. am Fastnachtsdienstag] kam sämtlicher hoher Adel in dieser altdeutschen Kleidung in das Schauspielhaus, und dieser Aufzug gewährte einen großen, prächtigen und respektablen Anblick, auch ward man gewahr, daß die Damen nichts von ihren Reitzen verliehren würden, wenn sie wieder die Trachten der Vorzeit wählten.
Der hier genannte „Erfinder“ Graf Ferdinand von Waldstein ist bekannt als Förderer und Freund Beethovens; er ermöglichte dem jungen Komponisten 1792 eine Studienreise nach Wien, damit dieser, wie Waldstein es formulierte, „Mozarts Geist aus Haydns Händen“ empfange. Beethoven widmete ihm später als Dank eine seiner berühmtesten Klaviersonaten: die sogenannte Waldsteinsonate C-dur op. 53.
Dass Waldstein, wie im Bericht behauptet, alleiniger Urheber der Musik und Choreographie des Balletts war, ist allerdings nicht korrekt. Allenfalls steuerte der musikliebende Graf ein paar melodische Einfälle bei, doch kann man davon ausgehen, dass die Komposition gänzlich Beethoven zuzuschreiben ist. Von seiner Hand stammt auch die Partitur der Ballettmusik, die heute in der Staatsbibliothek Berlin aufbewahrt wird:
Von dieser sicher sehr pittoresken Veranstaltung sind keine bildlichen Zeugnisse überliefert, aber einen schönen Eindruck von den Bonner Karnevalsfesten und Maskenbällen vermittelt das Gemälde des Hofmalers Franz Rousseau:
Und was machte Beethoven am Faschingssonntag 1791, während die „Ritter“ zu seiner Musik tanzten? Das neue Beethoven-Werkverzeichnis hat mit detektivischem Spürsinn erschlossen, dass er höchstwahrscheinlich im Orchester mitspielte (Dorfmüller/Gertsch/Ronge: Ludwig van Beethoven. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, München 2014, Bd. 2, S. 3). Denn die Ausführung der Balletmusik oblag der Bonner Hofkapelle, die zu jener Zeit nachweislich mit zwei Bratschisten besetzt war, einem Herrn Philippart sowie dem jungen Beethoven. Und da die Violastimme in der Ballettmusik oft zweistimmig notiert ist, war die Anwesenheit beider Bratscher erforderlich.
Diese These können wir nun durch eine sensationelle Entdeckung belegen: eine genaue Untersuchung des oben erwähnten Gemäldes Franz Rousseaus brachte ans Licht, dass in der Orchestergruppe am linken Bildrand eindeutig Beethoven zu identifizieren ist, der ganz links außen die Bratsche traktiert:
Und noch ein weiteres schlagendes Indiz entging der Beethoven-Forschung bisher: denn der berühmte Kölner und Bonner Karnevalsruf „Alaaf“ lässt sich vollständig in die Tonsilben A–La–A–F übersetzen: ein musikalisches Soggetto cavato ganz im Stile der großen Meister der Renaissance. Und tatsächlich finden wir die Tonfolge a–a–a–f in der Nr. 2 mit dem passenden Titel „Deutscher Gesang“ in der 2. Klarinette T. 9–11 wieder:
Nur einem genialen Geist wie Beethoven konnte es gelingen, dieses Motiv ebenso zwanglos wie subtil in seine Komposition einzuflechten und so dem biederen Maskenball am Bonner Hof insgeheim eine lange Nase zu drehen. Alaaf!