Es gehört zu den wundersamen Wendungen der Musikgeschichte, dass der um die Wende zum 19. Jahrhundert so überaus berühmte und populäre Komponist Ignaz Pleyel heute auf den Konzertbühnen der Welt nicht mehr zuhause ist – seine Musik gehört praktisch nicht mehr zum Repertoire. Dagegen hören wir sie doch gelegentlich im Stadtzentrum dargeboten von Straßenmusikern, denn sie wirkt heute vor allem gefällig, manchmal auch spritzig, und füllt damit wie damals den Geldbeutel. Grund genug, sich mit Pleyel in unserer Urtext-Reihe „Leichte Spielmusik“ intensiver zu beschäftigen.
Als wir uns vor einigen Jahren dazu entschlossen, diese neue Reihe aufzusetzen, war Pleyel im Henle-Katalog kein Neuling. Den ersten Weg in unser Verlagsprogramm fanden seine Werke sozusagen versteckt, über die Haydn-Gesamtausgabe. Denn zwei Klaviertrios, die zunächst unter Joseph Haydns Namen kursierten, aber überzeugend Pleyel zugeschrieben werden, sind schon seit 1976 als Urtextausgabe erhältlich.
Dazu kommt eine Auswahl von sechs einsätzigen Sonatinen aus den 1800 erschienenen „Twelve Easy Sonatinas for the Piano-Forte“ und die “Drei leichten Clavier Sonaten” aus demselben Jahr, die 1986 in einen unserer Sammelbände „Sonatinen für Klavier Band II Klassik“ aufgenommen wurden.
Sowohl die Trios als auch die Sonatinen sind, wie bei Letzteren bereits im englischen Titel vermerkt, recht leicht spielbare Vertreter ihrer Gattungen und damit bestens für das frühe Ensemblespiel bzw. den Anfänger-Unterricht geeignet – ein Repertoiresegment, das wir früher nicht bewusst bedient haben.
Doch dies ändert sich seit einer Weile, denn wir haben uns auf die Fahne geschrieben, Urtextausgaben auch für Kompositionen vorzulegen, die besonders für den Musikschul- und Liebhabermarkt interessant sind. Denken Sie nur an unsere Reihe „Am Klavier“, die in 12 Ausgaben bekannte Stücke der großen Komponisten vorlegt, die nicht nur von weit fortgeschrittenen Pianistinnen und Pianisten aufführbar sind.
Auch wenn wir sie offiziell nicht so nennen, so haben wir doch einen Plan, die „Leichte Spielmusik“ für alle unsere Hauptinstrumente stärker in den Fokus zu bringen. Und hier spielt Pleyel in der Gattung der Violinduos eine zentrale Rolle: Drei Bände mit bekannten Stücken sind nun erschienen und damit liegt ein schönes Paket für das häusliche Musizieren und den Unterricht vor.
Pleyel bediente die Gattung Violinduo üppig und mit großem Erfolg. In Rita Bentons hervorragendem Werkverzeichnis lassen sich über die Jahre 1788 bis 1806 insgesamt acht „Livres oder Œuvres de Duos de Violon“ identifizieren, von denen wir in immerhin sieben Fällen auch heute noch problemlos Druckexemplare auffinden können (die siebte der acht Gruppen lässt sich nicht mehr nachweisen).
Der 1757 nahe Wien geborene Pleyel, den es bald nach Paris zog, wurde nicht nur als Komponist „weltberühmt“, er war bekanntermaßen auch erfolgreicher Verleger und Instrumentenbauer. Doch schon vor der Gründung seiner Musikalienhandlung im Jahre 1795 waren erste Ausgaben der Gattung Violinduo in London und Paris erschienen. Gleich der erste Notendruck, die 1788 bei Longman als Opus 13 erschienene Sechsergruppe, eröffnete nun ein Verwirrspiel über die Authentizität und die Werknummern der Duos. Denn Pleyel beschwerte sich im Juni des Erscheinungsjahres öffentlich, dass dieses Opus 13 zwar unter seinem Namen erschienen, aber nicht seiner Feder entsprungen sei. Diese Aussage verwundert sehr (er behauptete auch, dass er zu diesem Zeitpunkt in dieser Gattung noch gar nichts geschrieben hätte). Denn eine Dekade später erschienen eben jene Duos in Pleyels eigenem Verlag erneut, als „1er livre de duos“. Zwischenzeitig hatten zahlreiche Nachdrucke ein großes Durcheinander bei den Werknummern eingeläutet: André in Offenbach veröffentlichte die Stücke als Opus 64 und Artaria in Wien als Opus 5, Raubkopierer von diesen Ausgaben im deutschsprachigen Raum übernahmen diese Zählungen und kolportierten sie weiter. Damit verbreiteten sich die ersten Duos mit drei verschiedenen Werknummern über den Kontinent, auf die britische Insel und später weltweit.
Das zweite Heft mit sechs Duos, das Henle unter der Opuszahl 23 vorlegt, erschien 1789 ebenfalls noch bei Longman (op. 15) und Boyer (op. 17) als „2e Livre de Duo“. Bedeutender für die Rezeption waren allerdings die Nachdrucke bei André und Schott unter der Werknummer 23, die sich in der Folge fälschlicherweise etablierte und bis heute mit diesen anspruchsvollen konzertanten Duos in Verbindung gebracht wird.
Um nicht erneut als Fälscher bezeichnet zu werden, druckte Boyer übrigens auf der Titelseite seiner Ausgabe den Vermerk „Gravés d’après le Manuscipt original de l’Auteur“ („nach dem Originalmanuskript des Komponisten gestochen“). Sollte dies der Wahrheit entsprechen, waren sich Komponist und Verleger offensichtlich nicht längerfristig gram.
Eine weitere Gruppe, die bei Henle im letzten Jahr erschien, sind die „Six Duos faciles et progressives“ – Leichte Duos in aufsteigender Schwierigkeit –, die nach dem 3. und 4. Buch (1789 und 1795/96) in Pleyels eigener Musikalienhandlung 1796 unter der Bezeichnung „Oeuvre 5e de Duo“ veröffentlicht wurden. Zu diesen nun eindeutig auch mit einem pädagogischen Ansatz komponierten und zusammengestellten Duos kursierten in verschiedenen Nachdrucken wiederum zahlreiche Werknummern, je nach Verlagszählungen Opera 32, 35, 40, doch durchgesetzt hat sich bis heute die wiederum von André in Offenbach vergebene Nummer 48.
Im November 1806 erschien dann die letzte Sechsergruppe, wiederum in Pleyels eigener Musikalienhandlung, nachdem zuvor 1799 die sechste Gruppe das Licht der Welt erblickt hatte. Dieses „8e Livre de Duo“ – wie gesagt, Nr. 7 ist nicht nachweisbar – scheint eine Art Nachgedanke zur Gattung darzustellen. Auf dem Titelblatt der Erstausgabe findet sich dazu der Zusatz: „Auf Drängen mehrerer Lehrer hat sich der Autor mit diesem rein elementaren Werk beschäftigt“.
Tatsächlich war – auch das verrät der Titel – hier eine Gruppe von 12 (!) Duos geplant: „Zwölf kleine Duos für zwei Violinen, vier Folgen bildend in aufsteigender Schwierigkeit“. Nachweisen lassen sich jedoch heute nur die ersten zwei Folgen dieser Reihe, die wir in unserer Urtextausgabe zusammengefasst haben. Erneut steht auch hier der pädagogische Aspekt stark im Vordergrund. Die bekannten Duos beginnen entsprechend recht elementar, ohne jedoch je banal zu klingen. Ganz im Gegenteil werden sie auch heute mit großer Begeisterung von Anfängern musiziert.
Wir haben uns in unseren Ausgaben übrigens dazu entschlossen, die Duos sowohl in Spielpartitur (ohne Bezeichnung) als auch in separaten, mit eingelegten Stimmen (mit Bezeichnung) zu veröffentlichen – ganz im Sinne einer an der Praxis ausgerichteten Urtextausgabe. Für die Bezeichnung haben wir uns an eine sehr erfahrene Lehrerin, Evelyne Grüb-Trauer, gewandt.
In aufsteigendem Anspruch – von Opus 8 über „Opus 48“ zu „Opus 23“ – können also nun auch die Henle-Fans durch diese wunderbare Spielliteratur musizieren, wo immer es Ihnen Freude macht. Gerne auch auf der Straße!
Hier ein kleiner akustischer Vorgeschmack: