Wür­den Sie sich nicht auch wun­dern, wenn im Kon­zert ein Sex­tett auf dem Pro­gramm steht und dann sie­ben Mu­si­ker die Bühne be­tre­ten? Genau so mag es man­chem gehen, der un­se­re Ur­text-Aus­ga­be von Beet­ho­vens Sex­tett op. 81b für 2 Hör­ner und Strei­cher (HN 955) auf­schlägt. Denn darin fin­den sich neben den Horn­par­ti­en nicht vier, son­dern fünf Strei­cher­stim­men – und das mit gutem Grund: In der 1810 bei Beet­ho­vens Freund und Ver­le­ger Ni­ko­laus Sim­rock in Bonn er­schie­ne­nen Erst­aus­ga­be des Sex­tetts, weist die tiefs­te Strei­cher­stim­me näm­lich nicht nur im Kopf­ti­tel die Be­zeich­nung „Vio­lon­cel­lo e Basso“ auf, son­dern diese Be­set­zung ist im No­ten­text auch klar dif­fe­ren­ziert durch die ab­wech­seln­de An­ga­be „Vllo.“ (für das Cello al­lein) und „Bassi“ (womit Cello und Kon­tra­bass ge­meint sind).

Die Aus­ga­be sieht also eine stel­len­wei­se Ver­stär­kung der tiefs­ten Stim­me des Sex­tetts durch den Kon­tra­bass, als sieb­tes In­stru­ment, vor. In einer heute im Bon­ner Beet­ho­ven-Haus auf­be­wahr­ten Ab­schrift, die Beet­ho­ven selbst über­prüft und kor­ri­giert hat, war das al­ler­dings noch nicht so. Hier hat das Sex­tett nur sechs Stim­men: Die tiefs­te ist schlicht mit „Vio­lon­cel­lo“ be­zeich­net und ent­hält kei­ner­lei An­ga­ben zur Ver­wen­dung eines Kon­tra­bas­ses.


Womit wir mal wie­der vor der quä­len­den Frage ste­hen: Was hat Beet­ho­ven wirk­lich ge­wollt? Da ein Au­to­graph oder an­de­re Zeug­nis­se zu die­sem Werk feh­len, muss man die Ant­wort im wahrs­ten Sinne des Wor­tes aus den Noten her­aus­le­sen – und das hat der Her­aus­ge­ber Egon Voss dann auch getan. Ein de­tail­lier­ter Ver­gleich von Druck und Ab­schrift zeigt, dass Sim­rocks Aus­ga­be zwar die Ab­schrift zur Vor­la­ge hat, aber noch man­che klei­ne Ver­än­de­rung der Ton­hö­he oder Stimm­ver­tei­lung auf­weist, die kaum je­mand an­ders als Beet­ho­ven ein­ge­führt haben kann. Folg­lich gibt es kei­nen Grund an­zu­neh­men, dass die Ein­be­zie­hung eines Kon­tra­bas­ses in die­ser Aus­ga­be nicht von Beet­ho­ven au­to­ri­siert war – auch wenn die Vor­stel­lung eines Sex­tetts für sie­ben In­stru­men­te erst ein­mal ge­wöh­nungs­be­dürf­tig ist.

Zu Beet­ho­vens Zeit war das al­ler­dings nicht so, denn im 18. Jahr­hun­dert war die Kopp­lung von Vio­lon­cel­lo und Kon­tra­bass in der ge­mischt be­setz­ten Blä­ser­kam­mer­mu­sik durch­aus üb­lich. Aus den Di­ver­ti­men­ti eines Mo­zart oder Haydn ist uns ein ent­spre­chen­des Klang­bild ver­traut. Aber Beet­ho­ven? Ja, auch Beet­ho­ven, denn un­ge­ach­tet der hohen Opus­zahl 81b ge­hört Beet­ho­vens Sex­tett zu sei­nen frü­hen Wer­ken. Es ent­stand schon zu Be­ginn der 1790er Jahre und ist deut­lich am hö­fi­schen Mu­sik­ge­schmack von Beet­ho­vens da­ma­li­gem Bon­ner Um­feld ori­en­tiert.

In ge­wis­ser Weise ist Op. 81b also ein „alt­mo­di­sches Werk“, und so ist es auch kein Wun­der, dass es etwas „alt­mo­di­scher“ klingt als die Kam­mer­mu­sik der spä­te­ren Wie­ner Zeit, die wir mit Beet­ho­ven ver­bin­den. Und viel­leicht ist dies auch der Grund, warum die Be­set­zung mit Kon­tra­bass nach Beet­ho­vens Tod ir­gend­wann in Ver­ges­sen­heit ge­riet. Schon im 1846 er­schie­ne­nen ers­ten Par­ti­tur­druck feh­len die An­ga­ben „Vc.“ und „Bassi“. Alle spä­te­ren Aus­ga­ben soll­ten die­sem Vor­bild fol­gen, bis das Werk 2007 bei der Vor­be­rei­tung des Ban­des mit der Blä­ser­kam­mer­mu­sik für die Neue Beet­ho­ven-Ge­samt­aus­ga­be von Egon Voss er­neut auf den edi­to­ri­schen Prüf­stein ge­legt wurde.
Wie mu­si­ka­lisch über­zeu­gend seine auf der Erst­aus­ga­be ba­sie­ren­de his­to­ri­sche Les­art des Sex­tetts für sie­ben Stim­men ist, kön­nen Sie üb­ri­gens in einem Kon­zert­mit­schnitt des Bon­ner Beet­ho­ven-Hau­ses nach­hö­ren. Dort mach­te man im April 2010 näm­lich die Probe aufs Ex­em­pel und stell­te Op. 81b in bei­den Va­ri­an­ten vor.

Der eine Ok­ta­ve tie­fer als das Cello klin­gen­de Kon­tra­bass ver­leiht dem Strei­cher­satz eine stär­ke­re Fun­die­rung, so dass die­ser ein über­zeu­gen­des Ge­gen­ge­wicht zum Hör­ner­paar bil­det (auch wenn die da­mals ver­wen­de­ten Na­tur­hör­ner na­tür­lich nicht an das Klang­vo­lu­men un­se­rer mo­der­nen Ven­til­hör­ner her­an­ka­men). Und da die Horn­par­ti­en des Sex­tetts sehr vir­tu­os an­ge­legt sind, ver­meint man in die­ser Be­set­zung nun fast ein klei­nes Con­cer­ti­no für 2 Hör­ner und Strei­cher zu hören.

Es darf also ruhig mal ein biss­chen mehr Bass sein bei Beet­ho­ven. Und damit der
Kon­tra­bas­sist sich nicht den Hals ver­renkt, wenn er mit dem Cel­lis­ten von einem Pult spielt, haben wir un­se­re Aus­ga­be des Sex­tetts eben mit einer sieb­ten Ein­zel­stim­me aus­ge­stat­tet. Nun ja, genau ge­nom­men sind es sogar neun, denn zu­sätz­lich zu den Horn­stim­men in Es bie­ten wir diese bei­den Par­ti­en auch in trans­po­nier­ter Form für Horn in F an, aber das ist wie­der eine an­de­re Ge­schich­te …

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