Gelegentlich werden wir gefragt, warum in allen Henle-Ausgaben die Tongeschlechter mit Kleinbuchstaben geschrieben werden, also zum Beispiel „A-dur“. Im Duden steht doch klar und deutlich „A-Dur“ – und das nicht erst seit der letzten Rechtschreibreform…? Aber die Vorgeschichte ist etwas älter – selbst als Konrad Duden persönlich.
Die Begriffe Dur und Moll leiten sich bekanntlich aus den lateinischen Adjektiven durus (‘hart’) und mollis (‘weich’) ab, die in der mittelalterlichen Musiktheorie zur Bezeichnung bestimmter Tonskalen (der sogenannten Hexachorde) eingeführt und später auf unsere modernen Tonleitern übertragen wurden.
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, als Latein noch allgemeines Bildungsgut war, scheint die Herkunft der Begriffe und vor allem ihr adjektivischer Aspekt noch stark gegenwärtig gewesen zu sein. Deswegen findet man auf Musikalien und in der Fachliteratur ganz überwiegend die Schreibung „A dur“ (auch noch ohne Bindestrich, also gewissermaßen „A hart“) und analog „A moll“. Einige repräsentative Beispiele:
Das lateinische Erbe zeigt sich auch darin, dass bei Texten in Fraktur die Tonarten stets in Antiqua-Schrift erscheinen, die nur für Fremdsprachen verwendet wurde – wie in den folgenden Beispielen aus drei maßgeblichen Nachschlagewerken, die ebenfalls durchweg die Kleinschreibung von Dur und Moll befolgen:
In starke Konkurrenz zu dieser Tradition trat allerdings die häufige Verwendung der beiden Begriffe in substantivierter Form: Wendungen wie „ein Stück in Moll“, „nach Dur modulieren“ u.ä. ließen die ursprüngliche Bedeutung verblassen und sind wohl dafür verantwortlich, dass sich neben „A-dur“ auch die Schreibung „A-Dur“ etablierte. Die für die deutsche Rechtschreibung maßgebliche Instanz, der Duden, wechselte allerdings erst im verbesserten Neudruck der 14. Auflage 1958 von der vorher vertretenen Kleinschreibung zum „großen Dur“.
Um die Verwirrung komplett zu machen, wurde daneben seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine Kurzschreibung der Tonart nur mit dem Tonbuchstaben üblich, wobei hier die Groß- bzw. Kleinschreibung das Tongeschlecht angab. Also zum Beispiel: „4 Sonaten op.12 Des, a, H, cis“ meint die Tonarten Des-dur, a-moll, H-dur, cis-moll. Dieses Prinzip fand auch Eingang in die Langschreibung, so dass z.B. neben „A-moll“ auch „a-moll“ sowie „a-Moll“ gebräuchlich wurden. Aber selbst die Variante „A-Moll“ ist zu finden. Und von Bindestrich und Kursivierung wollen wir dabei gar nicht erst reden…
Zusammenfassend und etwas salopp gesagt: im Grunde lässt sich für jede Schreibung ein historischer Beleg und eine plausible Begründung finden. Als Günter Henle 1948 seinen „Verlag zur Herausgabe musikalischer Urtexte“ gründete, wählte er selbstverständlich die damals gängige Schreibung, für die er im übrigen das denkbar beste Vorbild hatte: auch die erste Auflage der renommierten Musikenzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart (erschienen ab 1949) verwendet durchgehend die Schreibung „A-dur“ bzw. „a-moll“.
Heute folgen wir bei der Gestaltung unserer Ausgaben der Einheitlichkeit halber der Verlagstradition, die Günter Henle begründet hat, selbst wenn dies manch einem unzeitgemäß vorkommen mag. Aber steckt in dieser Schreibweise, die alle unsere (deutschsprachigen) Komponisten von Bach bis Reger genau so verwendet haben, nicht auch ein Stück „Urtext“…?
Gibt es dafür einen Beleg?
“der Duden, wechselte allerdings erst in der 14. Auflage 1958 von der vorher vertreteten Kleinschreibung zum „großen Dur“.
1958 gab es keine Duden-Auflage, 1951/1954 schon: http://www.duden.de/ueber_duden/auflagengeschichte
MfG JP
Vielen Dank für Ihre aufmerksame Lektüre – die Duden-Seite führt allerdings nicht sämtliche Ausgaben auf, es gab in der Tat 1958 einen “1., verbesserten Neudruck” der 14. Auflage (siehe http://d-nb.info/456816879), den ich herangezogen habe. Ich habe die Stelle aber nun entsprechend präzisiert!
Danke für die Antwort!
Ist damit auch sichergestellt, dass diese Schreibweise das erste mal im Nachdruck von 1958 im Duden verwendet wurde?
Natürlich habe ich, um diese Aussage treffen zu können, auch die Vorauflagen konsultiert… die alle noch die Kleinschreibung aufweisen. Sollten Sie aber einen gegenteiligen Beleg finden, bin ich für Hinweise dankbar.
Ich habe eine Anfrage an den DUDEN Kundendienst gestellt.
In der Antwort die ich erhielt heißt es: “Im ersten Nachdruck dieser Auflage (1956) heißt es dann auch „a-Moll“.”
Mit freundlichen Grüßen, Johann Pascher
Das ist eben ein typisches Sprachparadox – einmal klein und einmal groß geschrieben. Für solche Wörter gibt es eher gar keine feste Regel. Die Wissenschaftler streiten oft darüber und diskutieren heftig, welche Lösung in Frage kommt und was eher nicht akzeptiert werden darf. Die Regeln (und das gilt insbesondere für Sprachregeln) sind variabel und ändern sich. Ein Beispiel dafür: es gibt keinen eindeutigen Beleg, ob das Wort “umso” oder auch “um so” getrennt oder zusammen geschrieben wird.
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Betr.: Tongeschlechter
Sehr geehrte Damen und Herren,
was spricht gegen die Großschreibung Dur und Moll, wenn man die Formulierungen
“aus Dur”, “aus Moll” und “in Dur”, “in Moll”
berücksichtigt.
“Dur” und “Moll” sind Substantive, werden also groß geschrieben.
Also, wenn man nicht der Tradition Ihres ehrwürdigen Hauses folgen muß:
“A-Dur” und a-Moll”!
(Es geht mir ein bißchen um sprachliche Klarheit in Konzertprogrammen, CD-Büchlein und Internetinformationen.)
Mit Dank für Ihre Geduld und freundlichen Grüßen
Klaus Peters
Guten Tag,
ich habe mich für die klare Mischform entschieden: a-moll, A-Dur. Alles andere verursacht bei mir erheblich entzündete Augen.
;)
Für die Kleinschreibung spricht übrigens auch die Handhabe in anderen Ländern, z.B. den Niederlanden: A groot, a klein oder Frankreich: la majeur, la mineur oder Italien: la maggiore, la minore – überall wird das Geschlecht adjektivisch verwendet, so wie das Geschlecht als solches (männlich/weiblich) eben auch ein Adjektiv ist. Insofern ist die Schreibweise A-dur/a-moll ziemlich logisch. Trotzdem empfinde ich persönlich die holländische Art die klügste und bleibe bei Großschreibung für Dur und Kleinschreibung für moll. Außerdem kann man das „in“ resp. „aus“ getrost weglassen; das ist überflüssig. Wenn eine Claviersonate nicht IN irgendeiner Tonart steht, was tut sie dann…?
Herzlich,
RB