Tschai­kow­sky und die Vio­li­ne – si­cher denkt hier jeder zu­erst an sein herr­li­ches Vio­lin­kon­zert, das na­tür­lich längst im Hen­le-Ur­text er­hält­lich ist (HN 685). Aber die Gei­ger lie­ben auch seine an­de­ren, klei­ne­ren Werke für Vio­li­ne und Kla­vier, die nun nach und nach un­se­rem Ka­ta­log als ver­läss­li­che Ur­text-Aus­ga­ben hin­zu­ge­fügt wer­den.

Dass sich die ge­naue phi­lo­lo­gi­sche Ar­beit auch bei die­sen ver­meint­lich „harm­lo­se­ren“ Wer­ken lohnt, zeigt sich mus­ter­gül­tig am Valse-Scher­zo op. 34. Die­ses vor Spiel­witz sprü­hen­de Vir­tuo­sen­stück schrieb Tschai­kow­sky 1877 für den Gei­ger Josef Kotek, einen engen Freund und Schü­ler.

Unser Her­aus­ge­ber, der rus­si­sche Tschai­kow­sky-Spe­zia­list Alex­an­der Koma­rov, schil­dert im Vor­wort un­se­rer Aus­ga­be kennt­nis­reich die ver­wi­ckel­te Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Werks und be­legt sie mit vie­len Zi­ta­ten aus bis­her un­ver­öf­fent­lich­ten Brie­fen. Für seine Edi­ti­on (HN 1273) hat er alle zu Leb­zei­ten des Kom­po­nis­ten er­schie­ne­nen Druck­aus­ga­ben her­an­ge­zo­gen (au­to­gra­phe Quel­len sind ver­schol­len).

Dabei ergab ein Ver­gleich mit mo­der­nen, heute auf dem Markt be­find­li­chen Aus­ga­ben Er­staun­li­ches: so gut wie keine die­ser neuen Par­ti­tu­ren gibt den ori­gi­na­len No­ten­text der Erst­aus­ga­be wie­der, vom ur­sprüng­li­chen Um­fang sind nicht ein­mal zwei Drit­tel er­hal­ten, und die Violin­stim­me weist zahl­lo­se Ab­wei­chun­gen auf. Wie konn­te es dazu kom­men?

Der „Schul­di­ge“ ist der rus­si­sche Gei­ger Was­si­li Be­se­kir­ski, der seine Be­ar­bei­tung des Valse-Scher­zo be­reits 1914 beim Mos­kau­er Ver­lag Jur­gen­son ver­öf­fent­lich­te. Wohl in der gut­ge­mein­ten Ab­sicht, das mit 569 Tak­ten recht lange Werk etwas „ver­dau­li­cher“ zu ge­stal­ten, kürz­te er es auf 332 Takte, in dem er vor allem die Re­pri­se ra­di­kal zu­sam­men­strich, aber auch an vie­len an­de­ren Stel­len den Rot­stift an­setz­te. Im glei­chen Zug ge­stal­te­te Be­se­kir­ski den Vio­lin­part an vie­len Stel­len um, damit er noch vir­tuo­ser und ef­fekt­vol­ler zur Gel­tung komme, mit zu­sätz­li­chen Dop­pel­grif­fen, Ok­ta­ven u.ä.
Ei­ni­ge Bei­spie­le hier­für:

Be­ar­bei­tung Be­se­kir­ski

Ur­text

Be­ar­bei­tung Be­se­kir­ski

Ur­text

Be­ar­bei­tung Be­se­kir­ski

Ur­text

Ka­denz Be­se­kir­ski

Ur­text (Ka­denz Tschai­kow­sky)

Der Ein­fluss der Be­se­kir­ski-Aus­ga­be war so groß, dass viele der klas­si­schen Ton­auf­nah­men des Werks auf diese ge­kürz­te Be­ar­bei­tung zu­rück­grei­fen und somit bis heute ein fal­sches Bild von Tschai­kow­skys Kom­po­si­ti­on ge­zeich­net haben. Dazu ge­hört etwa auch die Re­fe­renz-Ein­spie­lung von David Ois­trakh:

Die wun­der­ba­re Julia Fi­scher zeigt da­ge­gen, dass das Valse-Scher­zo auch mit der „himm­li­schen Länge“ von 569 Tak­ten und dem ori­gi­na­len, schlan­ke­ren Vio­lin­part eine Oh­ren­wei­de ist – und keine Se­kun­de zu lang, wenn es so ge­spielt wird:

Wir hof­fen, dass die Gei­ger sich in Zu­kunft wie­der häu­fi­ger auf die ori­gi­na­le Fas­sung be­sin­nen, die Tschai­kow­sky so – und nur so – ver­öf­fent­licht und ge­wünscht hat. Viel­leicht kann un­se­re Neu­aus­ga­be einen klei­nen Teil dazu bei­tra­gen!

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