Mit un­se­rer frisch er­schie­ne­nen Ur­text-Aus­ga­be des hin­rei­ßend „brahm­si­schen“ Kla­ri­net­tent­ri­os Opus 3 von Alex­an­der Zem­lins­ky (HN 578) schlie­ßen wir gleich zwei Lü­cken. Zum einen fügen wir damit un­se­rem An­ge­bot für diese klas­si­sche Be­set­zung Kla­ri­net­te, Kla­vier und Cello (oder Viola) ein wich­ti­ges Werk hinzu, das sich zu­sam­men mit Mo­zarts „Ke­gel­statt-Trio“ KV 498, Beet­ho­vens „Gas­sen­hau­er-Trio“ op. 11 und Brahms’ Trio op. 114 in il­lus­trer Ge­sell­schaft be­fin­det (nicht zu ver­ges­sen Schu­manns Mär­chen­er­zäh­lun­gen op. 132 und Max Bruchs Acht Stü­cke op. 83 für die glei­che Be­set­zung). Au­ßer­dem hat un­se­re erste Edi­ti­on eines Werks von Zem­lins­ky den hüb­schen Ne­ben­ef­fekt, dass unser um­fang­rei­cher Ur­text­ka­ta­log nun tat­säch­lich von A(lbéniz) bis Z(em­lins­ky) reicht…

Ti­tel­blatt der Erst­aus­ga­be

Si­cher wer­den sich vor allem die Kla­ri­net­tis­ten über eine ver­läss­li­che Aus­ga­be ihres wich­ti­gen Repertoire­stücks freu­en, denn die Erst­aus­ga­be, die 1897 im Ver­lag Sim­rock er­schien und bis heute un­ver­än­dert nach­ge­druckt wird, weist un­zäh­li­ge Feh­ler und Ungereimt­heiten auf und be­durf­te somit einer gründ­li­chen Über­prü­fung.

Wenn­gleich sich sehr viele von Zem­lins­kys Par­ti­tur­ma­nu­skrip­ten er­hal­ten haben (vor allem in der Li­bra­ry of Con­gress in Wa­shing­ton und in der Ös­ter­rei­chi­schen Na­tio­nal­bi­blio­thek), ist un­glück­li­cher­wei­se aus­ge­rech­net das Au­to­graph sei­nes Kla­ri­net­tent­ri­os ver­schol­len. Auch die Kopisten­abschriften, die nach­weis­lich zur Ur­auf­führung des Trios (und wahr­schein­lich als Stich­vor­la­ge der Erst­aus­ga­be) ver­wen­det wur­den, sind nicht er­hal­ten, so dass keine wei­te­ren Quel­len zur Klä­rung der frag­li­chen Stel­len hin­zu­ge­zo­gen wer­den kön­nen.

Das ist umso be­dau­er­li­cher, als die Erst­aus­ga­be in kur­zer Zeit und of­fen­sicht­lich mit ge­rin­ger Sorg­falt her­ge­stellt wurde, was zu den be­sag­ten zahl­rei­chen Druck­feh­lern führ­te. Nach­dem kein Ge­rin­ge­rer als Jo­han­nes Brahms das Trio sei­nem Ver­le­ger und Freund Fritz Sim­rock Ende De­zem­ber 1896 zur Ver­öf­fent­li­chung emp­foh­len hatte und der No­ten­stich im Ja­nu­ar be­gon­nen wurde, lag die fer­ti­ge Aus­ga­be (Kla­vier­par­ti­tur und Stim­men) be­reits im März 1897 vor. Für gründ­li­che Kor­rek­tur­le­sun­gen scheint daher kaum Zeit ge­we­sen zu sein. Zu allem Übel war Zem­lins­ky bei der Nie­der­schrift sei­ner Par­ti­tu­ren und bei der Über­prüfung von Kor­rek­tur­ab­zü­gen äu­ßerst nach­läs­sig, wor­auf der Zem­lins­ky-Ex­per­te An­t­o­ny Beau­mont in sei­ner grund­le­gen­den Bio­gra­phie hin­ge­wie­sen hat:

[…] the no­ta­ti­on of his ma­nu­scripts and prin­ted edi­ti­ons, par­ti­cu­lar­ly that of his ear­lier works, is plagued by in­ac­cu­ra­cies, am­bi­gui­ties and in­con­sis­ten­cies. Scho­en­berg once wrote of Zem­lins­ky, that when he first met him he was a Schnell­schrei­ber (speed-wri­ter), and re­cal­led that while wait­ing for the ink to dry on a page of ma­nu­script he would prac­tise for his next con­cert. Evi­dent­ly he found even less time for the de­li­ca­te busi­ness of cor­rec­ting his fair co­pies and che­cking prin­ters’ pro­ofs.
An­t­o­ny Beau­mont, Alex­an­der Zem­lins­ky. Lon­don 2000, S. 22

Einen klei­nen Ein­druck von der Feh­ler­haf­tig­keit der Erst­aus­ga­be kann viel­leicht der fol­gen­de Aus­schnitt aus un­se­rer Stich­vor­la­ge ver­mit­teln – in Rot sind hier alle Kor­rek­tu­ren und Er­gän­zun­gen ein­ge­tra­gen, die wir für un­se­re Neu­aus­ga­be vor­ge­nom­men haben:

Trio op. 3, 2. Satz, T. 72–87. Kla­ri­net­te trans­po­nie­rend in A no­tiert. (Zum Ver­grö­ßern an­kli­cken)

Die feh­len­den oder fal­schen Vor­zei­chen las­sen sich in der Regel aus dem mu­si­ka­li­schen Kon­text re­la­tiv zwei­fels­frei er­mit­teln. An­de­re Stel­len sind da­ge­gen we­ni­ger ein­deu­tig, vor allem die von Beau­mont er­wähn­ten „in­con­sis­ten­cies“ zwi­schen Par­al­lel­stel­len oder zwi­schen Par­ti­tur und den Ein­zel­stim­men. Drei Bei­spie­le hier­für, alle aus der Kla­vier­stim­me, 1. Satz (zum Ver­grö­ßern an­kli­cken):

Hier be­schränkt sich un­se­re Aus­ga­be auf bloße Hin­wei­se in Fuß­no­ten, ohne den No­ten­text an­zu­rüh­ren, da jede Än­de­rung zu spe­ku­la­tiv wäre.

Fra­gen wie diese wer­den wohl erst ge­klärt wer­den kön­nen, falls eines Tages das Auto­graph des Kla­ri­net­tent­ri­os wie­der auf­tau­chen soll­te (aber viel­leicht nicht ein­mal dann, wenn man an das obige Zitat Beau­monts denkt…). Dass ein Ju­gend­werk Zem­lins­kys nach mehr als einem Jahr­hun­dert wie­der zum Vor­schein kommt, ist tat­säch­lich kürz­lich erst ge­sche­hen: vor we­ni­gen Jah­ren wurde das Au­to­graph sei­ner Cel­lo­so­na­te von 1894 wie­der­ent­deckt, das mit dem Cel­lis­ten und Wid­mungs­trä­ger Fried­rich Bux­baum nach Groß­bri­tan­ni­en ge­langt war und sich dort in Fa­mi­li­en­be­sitz be­fand (siehe die Schil­de­rung des Cel­lis­ten Ra­pha­el Wall­fisch; die Hand­schrift ist heute in der Juil­li­ard Ma­nu­script Collec­tion zu be­wun­dern). Bux­baum wirk­te eben­falls bei der Ur­auf­füh­rung von Zem­lins­kys Kla­ri­net­tent­rio mit. Wer weiß, ob nicht eines Tages auch die­ses Au­to­graph sei­nen Weg zu­rück in die Öf­fent­lich­keit fin­det? Für die Mu­sik­welt wäre das ein gro­ßer Ge­winn.

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2 Antworten auf »Urtext von A bis Z! Wissenswertes zu unserer Neuedition von Alexander Zemlinskys Klarinettentrio op. 3«

  1. Wolfgang Wahl sagt:

    Ich habe Ihre Anmerkungen zu Ihrer Ausgabe des Klarinettentrios Op.3 mit Interesse und Aufmerksamkeit gelesen. Ich bin jedoch an dem nächsten, bei Simrock verlegten Werk, dem 1.Streichquartett Op.4 interessiert. Alles, was Sie über Op.3 schreiben, trifft nämlich nach meiner Erfahrung auch auf diese Erstausgabe von 1898 zu. Deshalb wäre ich sehr interessiert, zu erfahren, ob das Autograph von Op.4 existiert und wenn ja, auf welchem Weg man Einsicht nehmen könnte. Wenn Sie mir in dieser Sache weiter helfen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Wolfgang Wahl

    • Sehr geehrter Herr Wahl,

      meines Wissens ist leider kein vollständiges Autograph des Quartetts op.4 überliefert, genau wie beim Trio op.3. In der ausführlichen Quellenliste von Lawrence Oncley (“The Works of Alexander Zemlinsky. A Chronological List”, in: Notes 1977) wird zwar ein Manuskript in der Library of Congress in Washington D.C. genannt, doch laut Detailbeschreibung handelt es sich um “Title page and fragments only”. Hier finden Sie weitere Details zum Zemlinsky-Nachlass in Washington:
      http://memory.loc.gov/diglib/ihas/loc.natlib.scdb.200033894/default.html

      In diesem Zusammenhang wird es Sie vielleicht interessieren, dass wir eine Neuedition des 2. Streichquartetts op.15 vorbereiten – hier sind erfreulicherweise umfangreiche autographe Quellen erhalten.

      Beste Grüße,
      Dominik Rahmer

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