Im ers­ten Teil mei­nes Blog-Bei­trags zu den be­kann­ten Bei­na­men der Kla­vier­so­na­ten Beet­ho­vens habe ich die au­then­ti­schen, vom Kom­po­nis­ten selbst ver­ge­be­nen Titel unter die Lupe ge­nom­men. Heute möch­te ich über die­je­ni­gen po­pu­lä­ren Titel be­rich­ten, die mit Beet­ho­ven wohl nichts zu tun haben, aber den­noch in aller Munde sind.

2. Teil: Die nicht-au­then­ti­schen Bei­na­men

Auf Wid­mun­gen ba­sie­rend

Die Ver­lieb­te op. 7: Die­ser we­ni­ger be­kann­te Bei­na­me geht auf die Wid­mungs­trä­ge­rin, Anna Luise Bar­ba­ra (Ba­bet­te) Grä­fin von Keg­le­vicz (ca 1780 bis 1813), zu­rück. Ba­bet­te war seit spä­tes­tens 1797 Beet­ho­vens Kla­vier­schü­le­rin und Carl Czer­ny wuss­te zu be­rich­ten, dass der Leh­rer in seine Schü­le­rin ver­liebt war. Im Ok­to­ber 1797 – Beet­ho­ven war 27 Jahre alt – er­schien Opus 7 mit ihrem Namen auf dem Ti­tel­blatt und auch in den Fol­ge­jah­ren wid­me­te ihr Beet­ho­ven wei­te­re wich­ti­ge Kla­vier­wer­ke: 1799 die Va­ria­tio­nen WoO 73, 1801 das 1. Kla­vier­kon­zert op. 15 und 1803 die F-dur-Va­ria­tio­nen op. 34. Beet­ho­vens Wer­ben fiel be­kann­ter­ma­ßen auf un­frucht­ba­ren Boden, er blieb Zeit sei­nes Le­bens Jung­ge­sel­le. Grä­fin Keg­le­vicz hei­ra­te­te 1801 den Fürs­ten In­no­cen­zo d’Er­ba-Ode­scal­chi, einen spä­te­ren Vi­ze-Prä­si­den­ten der Ge­sell­schaft der Mu­sik­freun­de.

Wald­stein­so­na­te op. 53: Der Wid­mungs­trä­ger die­ser So­na­te, Fer­di­nand Ernst Graf von Wald­stein (1762–1823), ge­hör­te zu den ers­ten und ent­schei­den­den För­de­rern des jun­gen Beet­ho­ven in Bonn. Wald­stein war ein enger Ver­trau­ter des Bon­ner Kur­fürs­ten, der den Gra­fen be­auf­trag­te, Beet­ho­ven in Wien ein­zu­füh­ren. Zu die­sem Zweck gab Wald­stein Beet­ho­ven ver­mut­lich Emp­feh­lungs­brie­fe mit auf die Reise. Be­rühmt ge­wor­den ist der Ein­trag Wald­steins in Beet­ho­vens Stamm­buch: „Lie­ber Beethow­en! Sie rei­sen itzt nach Wien zur Er­fül­lung ihrer so lange be­strit­te­nen Wün­sche. Mo­zart’s Ge­ni­us trau­ert noch und be­wei­net den Tod sei­nes Zög­lin­ges. Bey dem un­er­schöpf­li­chem Hay­den fand er Zu­flucht, aber keine Be­schäf­ti­gung; durch ihn wünscht er noch ein­mal mit je­man­den ver­ei­nigt zu wer­den. Durch un­un­ter­bro­che­nen Fleiß er­hal­ten Sie Mo­zart’s Geist aus Hay­dens Hän­den. Bonn d 29.t Oct. [1]792. Ihr warer Freund Wald­stein“. Der Graf selbst was sehr mu­si­ka­lisch, spiel­te Kla­vier und kom­po­nier­te auch – Beet­ho­ven ver­fass­te in den letz­ten Jah­ren in Bonn 1790–92 acht Va­ria­tio­nen für Kla­vier zu vier Hän­den über ein Thema Wald­steins (WoO 67), und die Musik zu einem Rit­ter­bal­let (WoO 1) aus die­ser Zeit ist ver­mut­lich eine Auf­trags­kom­po­si­ti­on des Gra­fen. Beet­ho­ven selbst nann­te die Kla­vier­so­na­te op. 53 na­tür­lich nicht die „Wald­stein­so­na­te“, aber die Nach­welt brauch­te of­fen­sicht­lich einen grif­fi­gen Namen für die­ses ein­zig­ar­ti­ge Meis­ter­werk. (Die Fran­zo­sen nen­nen diese So­na­te „L’au­ro­re“, Mor­gen­rö­te.)

A Thérèse op. 78: Diese 1809 in Wien ent­stan­de­ne, wun­der­vol­le, viel zu sel­ten ge­spiel­te So­na­te ver­dankt ihren Bei­na­men der Wid­mungs­trä­ge­rin The­re­se Grä­fin Bruns­vik de Ko­rom­pa (1775–1861). The­re­se ge­hör­te zu­sam­men mit ihren Ge­schwis­tern Franz – dem die „Ap­pas­sio­na­ta“ op. 57 ge­wid­met ist –, Jo­se­phi­ne und Char­lot­te zum engs­ten Freun­des­kreis Beet­ho­vens in Wien. Beet­ho­ven un­ter­rich­te­te The­re­se und Jo­se­phi­ne 1799 am Kla­vier und wid­me­te den bei­den spä­ter auch die vier­hän­di­gen Va­ria­tio­nen WoO 74.

Kla­vier­so­na­te op. 90, Mo­ritz Graf von Lich­now­sky ge­wid­met: Diese So­na­te trägt zwar kei­nen po­pu­lä­ren Bei­na­men, aber sie wurde in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der stark mit ihrem Wid­mungs­trä­ger in Ver­bin­dung ge­bracht. Anton Schind­ler, äu­ßerst un­zu­ver­läs­si­ger Bio­graph Beet­ho­vens, be­haup­te­te 1842, lange nach dem Tod des Kom­po­nis­ten, dass der So­na­te ein au­ßer­mu­si­ka­li­sches Pro­gramm bzw. eine „poe­ti­sche Idee“ zu­grun­de läge: die Hei­rat des Gra­fen mit einer Opern­sän­ge­rin, mit der er ein un­ehe­li­ches Kind hatte. Der 1. Satz stel­le den „Kampf zwi­schen Kopf und Herz“ des Gra­fen dar, der 2. Satz die „Con­ver­sa­ti­on mit der Ge­lieb­ten“. Wir wis­sen heute, dass diese An­ek­do­te eine kom­plet­te Er­fin­dung Schind­lers ist und dass er dazu sogar Ein­trä­ge in Beet­ho­vens Kon­ver­sa­ti­ons­hef­ten nach des­sen Tod fin­gier­te. Von die­sem schö­nen In­ter­pre­ta­ti­ons­mo­dell für diese So­na­te müs­sen wir uns also lei­der ver­ab­schie­den – es hat nichts mit Beet­ho­ven oder dem wah­ren Ent­ste­hungs­grund der So­na­te zu tun, der we­sent­lich viel­schich­ti­ger ist.

Aus Anton Schindlers sicher erfundener Entstehungsgeschichte zu op. 90

Aus Anton Schind­lers si­cher er­fun­de­ner Ent­ste­hungs­ge­schich­te zu op. 90

Auf dem mu­si­ka­li­schen Cha­rak­ter oder au­ßer­mu­si­ka­li­schen Be­zie­hun­gen ba­sie­rend

Mond­schein­so­na­te op. 27 Nr. 2: Die­ser für die In­ter­pre­ta­ti­on der So­na­te ge­ra­de­zu fa­ta­le Bei­na­me hat na­tür­lich nichts mit Beet­ho­ven zu tun, er nann­te sie wie auch die So­na­te op. 27 Nr. 1 „So­na­ta quasi una fan­ta­sia“. Der po­pu­lä­re Bei­na­me hat sei­nen Ur­sprung viel­leicht in der ers­ten Kunst­no­vel­le „Theo­dor. Eine mu­si­ka­li­sche Skiz­ze“ von Lud­wig Rell­stab aus dem Jahr 1823. Dort heißt es aus dem Munde eines Mu­sik­freun­des: „Kei­ner fal­schen Quin­te wäre ich werth, wenn ich das Ada­gio aus der Phan­ta­sie in Cis-moll ver­ges­sen hätte. Der See ruht in däm­mern­dem Mon­den­schim­mer; dumpf stößt die Welle an das dunk­le Ufer; düs­te­re Wald­ber­ge stei­gen auf und schlie­ßen die hei­li­ge Ge­gend von der Welt ab; Schwä­ne zie­hen mit flüs­tern­dem Rau­schen wie Geis­ter durch die Fluth und eine Äols­har­fe tönt Kla­gen sehn­süch­ti­ger ein­sa­mer Liebe ge­heim­nis­voll von jener Ruine herab. Still, gute Nacht!“ Der 1. Satz ist in sei­ner Grund­stim­mung na­tür­lich deut­lich viel­schich­ti­ger. So schreibt etwa Wil­helm von Lenz: „Es ist als ob man in Mit­ten einer ein­sa­men Ebene ein ko­los­sa­les Grab er­blick­te, blaß von der Si­chel des Mon­des er­hellt, von dem Ge­ni­us der Trau­er nie­der­ge­schla­gen be­fragt. [… Es bleibt] die alles be­zwin­gen­de Stim­me des Todes, wel­che durch das ganze Ada­gio, von An­gang bis zu Ende geht“. Auch Franz Liszt und Carl Czer­ny cha­rak­te­ri­sie­ren die­sen Satz mit den Be­grif­fen „Trau­er“, „Tod“ und „Nacht“. Neu­er­dings rü­cken Zu­sam­men­hän­ge mit dem Klang der Äols­har­fe, die schon Rell­stab nann­te, wie­der in den Vor­der­grund, da Beet­ho­ven sich nach­weis­lich in der Zeit der Ent­ste­hung der So­na­te für die­ses In­stru­ment in­ter­es­sier­te.

Sturm­so­na­te op. 31 Nr. 2: Noch ein sehr schwie­ri­ger, letz­ter Fall. Er wird wohl für immer un­lös­bar blei­ben, denn der ein­zi­ge Zeuge dafür, dass Beet­ho­ven diese So­na­te mit Shake­speares Sturm in Ver­bin­dung brach­te, ist er­neut Anton Schind­ler. Der Bio­graph gilt seit vie­len Jah­ren nicht nur als un­zu­ver­läs­sig, son­dern ist au­ßer­dem dafür be­kannt, mit böser Ab­sicht und im ei­ge­nen Nut­zen die Tat­sa­chen zu ver­dre­hen bzw. Ge­schich­ten zu er­fin­den. Er schreibt in sei­ner Bio­gra­phie: „Eines Tages, als ich dem Meis­ter den tie­fen Ein­druck ge­schil­dert, den die So­na­ten in D moll und F moll (Op. 31 und 57) in der Ver­samm­lung bei C. Czer­ny her­vor­ge­bracht und er in guter Stim­mung war, bat ich ihn, mir den Schlüs­sel zu die­sen So­na­ten zu geben. Er er­wi­der­te: ‚Lesen Sie nur Shake­speare’s Sturm‘“. Schind­ler nutzt die­sen Hin­weis als wei­te­res Indiz dafür, dass hin­ter Beet­ho­vens Kom­po­si­tio­nen immer eine „poe­ti­sche Idee“ stün­de – so wie schon die er­wie­se­ner­ma­ßen er­fun­de­ne An­ek­do­te zur So­na­te op. 90 (siehe oben).

Eröffnungsszene aus "The Tempest" von Shakespeare

Er­öff­nungs­sze­ne aus "The Tem­pest" von Shake­speare nach einer Aus­ga­be von 1709

Im Schnell­durch­lauf nun noch die rest­li­chen be­kann­te­ren po­pu­lä­ren Bei­na­men, die sich leicht er­klä­ren las­sen

Der be­rühm­te Titel „Ap­pas­sio­na­ta“ op. 57 taucht erst­ma­lig in Aus­ga­ben gegen Ende der 1830er Jahre auf und ist na­tür­lich dem lei­den­schaft­li­chen Cha­rak­ter die­ser au­ßer­ge­wöhn­li­chen So­na­te ge­schul­det (die So­na­te op. 2 Nr. 1 in der­sel­ben Ton­art wird daher ge­le­gent­lich auch „Klei­ne Ap­pas­sio­na­ta“ ge­nannt, so wie die So­na­te op. 10 Nr. 1 „Klei­ne Pathétique“). Au­ßer­mu­si­ka­li­sche As­so­zia­tio­nen ver­schaff­ten ei­ni­gen So­na­ten wei­te­re Bei­na­men, so etwa der „Pas­to­ral“-So­na­te op. 28 mit ihrem an die Pas­to­ral-Sym­pho­nie er­in­nern­den ton­ma­le­ri­schen Cha­rak­ter oder der „Jagd“-So­na­te op. 31 Nr. 3 wegen der rhyth­mi­schen Struk­tur des letz­ten Sat­zes. Aber an die­ser Stel­le höre ich nun auf, auch wenn wei­te­re ob­sku­re Namen kur­sie­ren.

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Eine Antwort auf »Sturm – Les Adieux – Hammerklavier. Sinn und Unsinn der Namensgebung bei Beethovens Klaviersonaten, 2. Teil«

  1. Dr. Matthias Thiemel sagt:

    Vielen Dank für alle Informationen!

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