Im heu­ti­gen Blog­bei­trag soll es ein­mal nicht um tief­schür­fen­de edi­to­ri­sche Fra­gen, Quel­len­pro­ble­me oder um die ver­wi­ckel­te Ent­ste­hungs­ge­schich­te einer Kom­po­si­ti­on gehen. Nein, ich möch­te eine schein­bar tri­via­le Tä­tig­keit ins ge­büh­ren­de Licht set­zen: das Kor­rek­tur­le­sen.

Es ver­ge­hen in der Regel viele Mo­na­te, ja Jahre, bis die edi­to­ri­sche Ar­beit an einer Aus­ga­be ab­ge­schlos­sen ist und die Ent­schei­dun­gen des Her­aus­ge­bers in einer Stich­vor­la­ge für den No­ten­set­zer auf Pa­pier fest­ge­hal­ten sind. Doch die auf­wen­digs­te Edi­ti­on ist kaum etwas wert, wenn der neu ge­setz­te No­ten­text durch Ab­schrei­be­feh­ler an­schlie­ßend von fal­schen Noten und Vor­zei­chen wim­melt.

Ein Aus­schnitt aus einer Stich­vor­la­ge und der ent­spre­chen­den 1. No­ten­fah­ne. Fin­den Sie den Feh­ler? Die Lö­sung gibt es unten.

Der Grund, wes­halb viele Mu­si­ker ge­ra­de die Hen­le-Ur­text­aus­ga­ben schät­zen, liegt nicht nur in der Zu­ver­läs­sig­keit des wis­sen­schaft­lich er­ar­bei­te­ten No­ten­texts und der sorg­fältigen gra­fi­schen Ge­stal­tung, son­dern auch daran, dass sie prak­tisch feh­ler­frei sind.

Auch fal­sche Bal­ken­win­kel blei­ben nicht un­ent­deckt.

Das kommt nicht von un­ge­fähr, denn wir schen­ken der Kor­rek­tur­pha­se einer Aus­ga­be äu­ßerst große Be­ach­tung. Nach­dem der Her­aus­ge­ber seine Satz­vor­la­ge fer­tig­ge­stellt und der No­ten­gra­fi­ker da­nach die erste Fahne ge­setzt hat, ver­ge­hen noch viele Mo­na­te bis zur Druck­rei­fe der Aus­ga­be. Jede Par­ti­tur un­se­rer Ur­text­aus­ga­ben durch­läuft stan­dard­mä­ßig min­des­tens sechs Kor­rek­tur­le­sun­gen durch un­ter­schied­li­che Per­so­nen, und bei beson­ders kom­ple­xen No­ten­tex­ten (etwa das Streich­quar­tett von Alban Berg) auch mehr.

Wenn die Aus­ga­be zu­sätz­lich Ein­zel­stim­men ent­hält, wer­den diese erst an­schlie­ßend aus der kor­ri­gier­ten Par­ti­tur her­aus­ge­zo­gen und dann noch wei­te­re drei Male (min­des­tens) zur Kor­rek­tur­le­sung ge­ge­ben. Denn so be­quem der Stim­men­aus­zug mit dem Com­pu­ter heute ist – bei die­sem Schritt kön­nen noch viele neue Feh­ler oder Män­gel ent­ste­hen: fal­sche Trans­po­si­tio­nen, ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne oder ver­rutsch­te Zei­chen, feh­ler­haf­te Stich­no­ten, schlech­te Wen­de­stel­len u.v.m., wie in die­sem Bei­spiel:

Bei die­ser Viel­zahl an Prü­fun­gen un­ter­stützt uns ein aus­ge­wähl­tes Team von ex­ter­nen Kor­rek­tur­le­sern: aus­ge­bil­de­te Mu­si­ker, Mu­sik­leh­rer und Mu­sik­wis­sen­schaft­ler, die zudem ein schar­fes Auge für die Fein­hei­ten des No­ten­tex­tes und die Re­geln des Noten­stichs mit­brin­gen müs­sen. Was sie für un­se­re Aus­ga­ben leis­ten, geht weit über ein me­cha­ni­sches Ver­glei­chen hin­aus: Sie wei­sen auf Un­ter­schie­de bei Par­al­lel­stel­len hin, mer­ken frag­wür­di­ge Stel­len an und ma­chen Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge für den Um­bruch oder die op­ti­sche Ge­stal­tung. Die Er­geb­nis­se die­ses „mit­den­ken­den Le­sens“ wer­den vom Her­aus­ge­ber und dem be­treu­en­den Lek­tor der Aus­ga­be ge­sich­tet und für die Verbesse­rung des No­ten­tex­tes be­rück­sich­tigt.

Kor­rek­tu­ren kön­nen auch mal bunt wer­den ...

Mi­cha­el Schä­fer, Pia­nist und Pro­fes­sor an der Mu­sik­hoch­schu­le Mün­chen, schaut bei Rach­ma­ni­now be­son­ders genau hin…

Damit aber nicht genug: Nach Mög­lich­keit zie­hen wir vor der Druck­frei­ga­be auch Mu­si­ker für ein Durch­spiel un­se­rer Edi­ti­on hinzu. Sie tes­ten die prak­ti­sche Be­nutz­bar­keit der Aus­ga­be (gute Les­bar­keit, prak­ti­sche Wen­de­stel­len) und geben uns auch Rück­meldung zu Feh­lern oder pro­ble­ma­ti­schen Stel­len. Manch­mal reicht schon die Ergän­zung einer er­klä­ren­den Fuß­no­te, um den spä­te­ren Käu­fern viel Kopf­zer­bre­chen über eine un­ge­wohn­te, aber au­then­ti­sche Les­art zu er­spa­ren.

Oh­ne­hin wer­den fast alle un­se­re Aus­ga­ben für Kla­vier solo mit neuem Fin­gersatz ver­se­hen, für den wir er­fah­re­ne Pia­nis­ten und Kla­vier­päd­ago­gen ge­win­nen. Diese prü­fen beim Er­stel­len des Fin­gersat­zes na­tür­lich auch den No­ten­text auf Herz und Nie­ren und kön­nen so noch das eine oder an­de­re ver­ges­se­ne Vor­zei­chen auf­spü­ren. Aber auch in der Kam­mer­mu­sik ar­bei­ten wir mit nam­haf­ten En­sem­bles zu­sam­men; so be­glei­tet etwa das Ar­mi­da-Quar­tett die Neue­di­ti­on sämt­li­cher Streich­quar­tet­te Mo­zarts.

Etwas Humor darf auch nicht feh­len… Aus­schnitt aus einer Fahne zur Hot-So­na­te von Erwin Schul­hoff

Und soll­ten am Ende all diese Dut­zen­de von Au­gen­paaren tat­säch­lich doch ein­mal einen Feh­ler in un­se­rer Aus­ga­be über­se­hen haben, ist er zum Glück nicht in Stein ge­mei­ßelt. Bei jeder Neu­auf­la­ge einer Aus­ga­be (in der Regel nach we­ni­gen Jah­ren) prü­fen wir, ob uns Mu­si­ker in der Zwi­schenzeit einen Feh­ler si­gna­li­siert hat­ten (den wir dann so­fort in einem Redaktionsexem­plar fest­hal­ten). So ak­tua­li­sie­ren und ver­bes­sern wir also stän­dig un­se­re Edi­tio­nen mit jeder neuen Auf­la­ge, damit wir den Mu­si­kern das Op­ti­mum an Ge­nau­ig­keit und Zu­ver­läs­sig­keit bie­ten kön­nen, das sie von Henle-Urtextausga­ben er­war­ten dür­fen.

Haben Sie den Feh­ler ge­fun­den? Hier die Lö­sung.

 

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