Ich kann mich noch sehr genau erinnern, wie verärgert, ja empört ich über den 1984 herausgekommenen Mozart-Film „Amadeus“ war. Das war doch keinesfalls der Mozart, so wie ich ihn mir vorstelle. Sein infantiles Benehmen, sein dümmliches Gelächter, seine Dauer-Überdrehtheit: nein, das hatte nichts mit „meinem“ Mozart zu tun. Heute bin ich da viel entspannter, ja – ich bin sogar berührt, wenn ich selbst dabei sein darf, wenn „Salieri“ erstmals einen Ausschnitt aus Mozarts Gran Partita hört und sofort seine eigene Mediokrität erkennt, oder wenn „Mozart“ auf dem Totenbett „Salieri“ Teile seines Requiems diktiert, schweißgebadet, um seinen baldigen Tod wissend – und ich bin erschütterter Zeuge dieses Geschehens. Fast immer, wenn in diesem „Amadeus“-Film Mozarts Musik erklingt und ihre ungeheure emotionale Kraft sich in den Gesichtern der Schauspieler abbildet, wird meine eigene Emotion angeregt und herausgefordert, womöglich stärker als beim bloßen, bildlosen Zuhören. Spiegelung eigener, tiefsitzender Gefühle.
Und nun Beethoven-Filme. Um es klarzustellen: Eine ernsthafte, gar wissenschaftliche Beschäftigung mit Beethovens Leben und Werk befasst sich durchaus nicht mit Filmen über ihn, sondern mit den vielen primären Dokumenten und Quellen, in der Regel aufbereitet durch jahrzehntelange Forschertätigkeit und in Referenzausgaben, das meiste davon in unserem Verlag veröffentlicht: mit den Briefen von und an Beethoven, mit den vielfachen Zeitzeugenberichten, mit dem Beethoven-Werkverzeichnis, mit den Konversationsheften, mit den überlieferten Portraits, und natürlich nicht zuletzt mit seinem gesamten kompositorischen Schaffen. Beethoven-Filme hingegen sind die Möglichkeit, Fachwissen einem interessierten breiteren Publikum näher zu bringen. Seien es unterhaltsame Spielfilme, Filmdokumentationen (mit oder ohne Schauspielern) oder berühmte Interpreten, die vor der Kamera zu Beethovens Werk und Leben zu Wort kommen.
Meine Recherchen auf YouTube, IMDb, Wikipedia, Amazon und in anderen Online-Quellen brachten eine überraschend große Anzahl an solchen Filmen mit Beethoven-Bezug zutage. Jeden Film habe ich (teilweise mehrmals) angesehen, in chronologischer Reihenfolge (nach Erscheinen) bibliografiert und schließlich mit einem persönlichen Kurzkommentar und Empfehlung (von 1-5 Sterne) versehen. Tatsächlich hat sich derartig viel Material angesammelt, dass ich die Beethoven-„Filmografie“ in die folgenden drei Kategorien gegliedert habe – für jede Kategorie wird es einen separaten Blog-Beitrag geben. Die „Filmografie“ selbst steht ab sofort dauerhaft auf unserer Website:
(1) Beethoven-Spielfilme [10. März 2020]
(2) Beethoven-Dokumentationen [20. April 2020]
(3) Berühmte Musiker über Beethoven-Interpretation [15. Juni 2020]
Während die Spielfilme (1) naturgemäß vornehmlich auf Unterhaltung und weniger auf Faktenvermittlung zielen, so verbinden die meisten Film-Dokumentationen (2) seriös recherchiertes und opulent ausgebreitetes Faktenmaterial zu Leben und Werk Beethovens mit überwiegend großartigen schauspielerischen Elementen. Und wenn sich schließlich die großen Beethoven-Interpreten (3) unserer Zeit zu dessen Werk äußern, sind wir sehr nahe dran am Eigentlichen, an der Musik. Ausgeschlossen habe ich lediglich alle Filme, in denen Beethovens Musik entweder nur als „Hintergrundmusik“ erklingt (wie zum Beispiel in „A Clockwork Orange“, „Saiten des Lebens“, „Dancing Beethoven“) oder der Komponistenname schlicht missbraucht wird (wie zum Beispiel in „Ein Hund namens Beethoven“).
Sollte ich trotz Sorgfalt einen oder gar mehrere Beethoven-Filme übersehen haben, bitte ich Sie herzlich um Mitteilung.
Teil 1: Beethoven-Spielfilme
Ein Komponist vom Range Beethovens, die Ikone des kompositorischen Genies schlechthin, ist freilich als Persönlichkeit per se interessanter als jeder andere. Gerade im Falle Beethovens kommt für das Genre Film ein weiterer Attraktivitätsfaktor hinzu: seine Biografie hält für den Regisseur und seine Schauspieler mehr als ausreichend „Filmstoff“ bereit, freilich mehr Drama als Komödie. Nehmen wir nur Beethovens traurige Kindheit, seinen schroffen Charakter, seine Ertaubung (Heiligenstädter Testament), seine Misserfolge (oder Erfolge?) bei den zumeist adligen Damen (Brief an die „Unsterbliche Geliebte“), seine offensichtlichen Widersprüche (z.B. im Verhältnis zum Adel, zu Napoleon), sein Alkoholmissbrauch, der „Neffen-Konflikt“ (einschließlich Selbstmordversuch), seine unendlich vielen Krankheiten und der relativ frühe Tod. Vieles davon ist, wenig überraschend, Konstante in jedem Beethoven-Spielfilm.
Kinofilme wollen unterhalten und können gleichzeitig – in den wenigen gelungen Fällen – den Zuschauer neugierig auf Beethovens Musik machen und damit zu weiterer, vertiefter Beschäftigung anregen. Auch der/die (notorisch skeptische) Beethoven-Kenner/in wird sich bei einem gut gemachten Spielfilm gerne hineinziehen lassen in die Magie der großen Momente, der schönen Bilder, der großen Schauspieler/innen. Alle Kinogänger werden Brüder, fiebern mit, freuen sich mit Ludwig und seinem biografischen Umfeld. Natürlich wird der/die Kenner/in Beethoven-Spielfilme auch immer gleichsam mit einem analytischen Auge ansehen: Welche Lebensereignisse, welche historische Personen, welche Beethoven-Klischees und -Mythen, welche Musik wird uns dargeboten, und wie? Ganz abgesehen von der rezeptionsgeschichtlich hochinteressanten, im Folgenden nicht nachgegangenen Frage, welches Beethoven-Bild uns denn jeweils dargeboten wird, denn „das Bild, das wir uns von der Künstlerfigur Beethoven machen … [wird auch] davon mitbestimmt, wie er auf der Filmleinwand porträtiert ist und wie seine Musik dort kontextualisiert wird“. (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz)
Und schließlich: Der Film spielt einen unschlagbaren Vorteil gegenüber all den „trockenen“ Quellen und Büchern aus. Denn er wirkt trotz, nein gerade wegen seiner Vereinfachung und Straffung tatsächlicher Sachverhalte unmittelbarer und emotionaler. Wir müssen spontan reagieren, sei es mit Abscheu oder mit Bewunderung. Kalte Gleichgültigkeit ist kaum möglich. Wie auch immer wir uns vor dem inneren Auge „unseren eigenen Beethoven“ als Person vorgestellt haben mögen – im Film wird seine Person konkret fassbar. Und keinesfalls zu vergessen: Die gewaltige emotionale Wucht seiner erklingenden Musik! Es geht dabei gerade nicht um ein Konzert- oder CD-Erlebnis, sondern um die subtile oder die vordergründige Unterstützung der Beethovenschen (und anderer) Musik zur Vertiefung des „ganzen Beethoven“. Besonders diesen „Effekt“ lässt sich natürlich kein Filmregisseur entgehen. Kein Beethoven-Film ohne die Anfänge der „Mondschein-Sonate“, der „Pathétique“ (langsamer Satz), der „Fünften“ und der „Neunten“.
Aber sehen Sie selbst: (1) Beethoven-Spielfilme