Wir möchten unsere im Februar begonnene Reihe mit Interviews von Musikern zu Beethoven heute mit dem britischen Pianisten Ian Fountain fortsetzen. Für den Henle-Verlag zeichnet er für die Fingersätze zu Beethovens Sonaten (HN 894) und Variationen (HN 913) für Violoncello und Klavier verantwortlich, wobei David Geringas die Cello-Bezeichnungen übernahm – eine Zusammenarbeit, die sich in der CD-Einspielung Sämtlicher Werke für Cello und Klavier (SWR Music/Hänssler Classic, 2011) fortsetzte. Außerdem konnte er für die Fingersätze im zweiten Band der revidierten Edition von Beethovens Klaviervariationen (HN 1269) gewonnen werden, dessen Hauptwerk, die Diabelli-Variationen op. 120, Fountain bereits 1997 eingespielt hatte (CRD Records).
Peter Jost (PJ): Welchen Stellenwert besitzt Beethovens Klaviermusik generell für Ihre Konzerte wie auch für Ihren Unterricht?
Ian Fountain (IF): Als ich ein Teenager war, stand Beethovens Musik auf meiner Liste nicht ganz an der Spitze. Mozart gelangte eine ganze Weile früher in mein Blickfeld. Beethoven war zu diesem Zeitpunkt schwieriger zu „erfassen“. Ich begann mit den späten Sonaten und arbeitete mich rückwärts voran. Ich habe dann die Hammerklavier-Sonate gespielt, als ich 18 war, und das hat mir wirklich die Tür geöffnet. Ich kann bei vielen Schülern ein ähnliches Muster feststellen, insbesondere im Hinblick auf die Popularität der Sonaten op.109 und 110; vielleicht weil diese Werke explizit auf die introvertierte Romantik eines Schumann vorausschauen.
Heutzutage fühle ich mich ebenso von der frühen Musik Beethovens angezogen. Es ist ein fast elementarer Nervenkitzel, die „einstelligen“ Opus-Nummern zu spielen, die so energiegeladen und unmittelbar mitreißend sind – voller Gedanken und Leben.
Mir wurde auch klar, dass es hier möglicherweise eine engere Verbindung mit dem späteren Stil gibt, als wir sie vielleicht erkennen können. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich die fünf Sonaten für Cello und Klavier im selben Konzert spielte (was ein großartiges Programm ergibt). Nach den zwei energiegeladenen Stücken, aus denen Opus 5 besteht, ergab sich mit der heiteren Sonate op. 69 und der mystischen op. 102/1 ein viel ruhigerer Eindruck. Aber als ich mit der letzten D-Dur-Sonate op. 102/2 begann, war mir plötzlich bewusst, wie deutlich der Komponist zu der körperlichen Kraft und Strenge der frühen Sonate op. 5/1 zurückgekehrt war. Ich hatte diese Verbindungslinie noch nie gezogen, obwohl ich unzählige Male die Sonate gespielt hatte. Und vielleicht gibt es da einen Hinweis darauf, dass Beethovens Entwicklung etwas komplizierter war als die gerade Linie, die wir uns vorstellen mögen. Sicherlich sind die Dichte des Inhalts und die Größe der gewaltigen langsamen Sätze starke Gemeinsamkeiten des frühen und späten Stils. Aber was geschah zwischen diesen Polen? Das ist eine offene Frage.
PJ: Charakteristische Merkmale von Beethovens Musik sind ein dynamisches, vorwärtsstrebendes Moment in den schnellen Sätzen sowie zum Teil sehr schroffe Akzente, die berühmten Sforzati. Gibt es weitere Eigenschaften in Beethovens Klaviersatz, die man als typisch ansehen kann?
IF: Betrachten wir einen Moment lang die Sforzati, da sie ein so wichtiges Merkmal und so heikel im korrekten Verständnis sind. Ich denke, es lohnt sich, daran zu erinnern, dass das Wort „sforzato“ seine italienischen Wurzeln in „sforzare“ hat, was „sich anstrengen“ bedeutet. Beethoven wirft Hindernisse in die Bahn der Musik, oft an den unangenehmsten und unbequemsten Stellen. Er möchte unser flüssiges Spiel unterbrechen, um zu sagen: halt! Dies hier muss unterstrichen oder nochmals gesagt werden. Das ist ganz wesentlich auf eine Auseinandersetzung angelegt: eine harmonische Kontroverse, die erst auf die Spitze getrieben werden muss, bevor sie regelgerecht gelöst werden kann.
Schwierig ist auch der Wechsel von „forte“ zu „fortissimo“. Oft wird eine Barriere weggefegt – ein geradezu schrankenloser Ausbruch. Der Interpret muss einen bewussten strategischen Plan davon haben, was vor ihm liegt. Gleiches gilt für das andere Ende der dynamischen Skala. Es ist ein häufiger Fehler, „piano“ zu leise zu spielen. Ich denke, „piano“ in Beethovens Musik bedeutet, einen vollen, runden, sonoren Ton zu gestalten, denn dann entfaltet ein Pianissimo, wenn es eintritt, seine richtige Wirkung. Eines meiner Lieblingsbeispiele hierfür ist der Beginn der „Sturm“-Sonate op. 31/2. Die eigenartige Eröffnungsgeste steht in einem geheimnisvollen pp, und dann führt eine kurze lebhafte Bewegung zu einem sf mit Auflösung. Aber dieser letzte Dominantakkord (Takt 6) darf absolut nicht zu leise sein, sonst wird das „Geheimnis“ der pp-Fortsetzung – die sich auf den Anfang bezieht, jetzt in unerwartetem C-Dur – bereits verraten.
Wir könnten einen ähnlichen Gedanken auf den Beginn des vierten Klavierkonzerts übertragen. Jeder Pianist möchte das Publikum mit seinen perfekt zarten und atemlosen G-Dur-Akkorden beeindrucken, wobei er in den letzten beiden Takten häufig obendrein ein ausgedehntes Ritenuto hinzufügt. Aber es ist erst die Fortsetzung des Orchesters – in H-Dur, Pianissimo –, die wie aus einer anderen Welt klingen muss.
PJ: War Beethoven in seiner Klaviermusik in Ihren Augen eher ein Revolutionär oder ein Bewahrer der Tradition?
IF: Ich denke, dass keine der beiden Bezeichnungen zutrifft. Beethoven wird gewöhnlich als „Revolutionär“ bezeichnet (oft von Möchtegern-Revolutionären), aber ich denke, das ist ein irreführendes Klischee. Ein Revolutionär möchte zuerst die bestehende Ordnung zerstören. Das hören wir nachdrücklich nicht in seiner Musik. Er widmete seine ersten Sonaten Haydn; und er akzeptierte und machte sich die etablierten Rahmenbedingungen der Formen von Sonate, Variationen usw. zu eigen, ganz zu schweigen vom Ausgangspunkt für seine eigenen Erfindungen, nämlich Haydns Streichquartetten. Seine Leistung war, sich diese Formen so auszudenken und zu entwickeln, wie es noch niemand zuvor getan hatte. Wir können es bereits in dem Vier-Sätze-Format der frühen Sonaten und der Kühnheit der Trios op. 1 erkennen. Aber selbst der generelle Impuls, neue Wege zu beschreiten, wird manchmal durch seltsame Kehrtwendungen und Retro-Blicke überlagert. Stücke wie das Septett oder die Sonaten op. 22, 28 und sogar 31/3 fühlen sich merkwürdig altmodisch und stellenweise sogar formelhaft an.
Ich denke, es ist wirklich die visionäre Qualität, die Beethoven ausmacht. Nehmen Sie das Klavierkonzert Nr. 5 (1. Satz), Takt 268. An der entsprechenden Stelle im Eröffnungsabschnitt (Takt 111) trägt der Solist das Hauptthema des Satzes vor.
Hier jedoch, in Takt 268, hat Beethoven plötzlich das Thema gleichsam verloren, und wir haben für zwei Takte nur noch bloße Umspielungen der Harmonie, ein Muster, das sich durch Modulationen in fremde Tonarten hindurch wiederholt. Es ist ein unglaublicher Moment – wir hören eine Ahnung dessen, was hinter der „Fassade“ des Hauptthemas steckt.
Diese visionären Momente – ebenso auch die harmonischen Verwicklungen der Großen Fuge – waren die Dinge, für die ein Beethoven kommen musste.
PJ: Nahezu alle großen Komponisten des 19. Jahrhunderts haben ihre musikalische Ausbildung am Klavier absolviert. Dennoch gibt es große Unterschiede im Blick auf die Idiomatik ihrer Klavierwerke. Wie würden Sie Beethovens Klaviermusik einordnen? Oder anders gefragt: Wie bequem oder unbequem liegt sie in den Händen?
IF: Jeder Komponist „fühlt“ sich in den Händen anders an. Die besondere Herausforderung bei Beethoven besteht darin, dass er die präzise Transparenz, die frühere Komponisten fordern – alle Interpreten kennen das Gefühl, dass jeder Fehler gnadenlos aufgedeckt wird – mit der Schwere und Größe eines Brahms kombiniert. Er ist sozusagen unmittelbar am Kreuzungspunkt. Die Konzerte sind in diesem Sinne eine besondere Herausforderung. Sie verlangen viel Ausdauer und körperliche Stärke. Insbesondere die Schlusssätze enthalten einige der schwierigsten Passagen, die je für Klavier geschrieben wurden.
Wir alle wissen inzwischen – und jedem Schüler wird dies pflichtbewusst mitgeteilt – wie stark der Klang des Streichquartetts hinter Beethovens Komponieren für Klavier steht – das ist zweifellos richtig. Aber dies ist wohl keine Einbahnstraße. Oft hören wir ein pianistisches Idiom in den Quartetten. Die wunderbare Passage im Finale von Op. 131 (ab Takt 56) scheint sich nach der Welt der Chopin-Balladen zu sehnen, und erinnert die dämonische Episode im Finale von Op. 132 (ab Takt 125) nicht an das schwierige Trio mit überkreuzten Händen im Scherzo der Sonate op. 110?
PJ: Speziell im Hinblick auf den Fingersatz: Gibt es hier besondere Herausforderungen?
IF: Ja, besonders viele, es fasziniert mich immer wieder. Als Sie mich mit der Aufgabe betrauten, die Fingersätze für die Variationen zu schreiben, musste ich entscheiden, auf wen meine Bemühungen gerichtet sein sollten – auf einen Vom-Blatt-Spieler, einen Studenten oder einfach auf mich selbst und meine persönliche Spielweise. Mein „ideales Publikum“ war ein (fiktiver) begabter Student, der genau mein Konzept der Stücke teilte und sie zum ersten Mal lernte. Fingersatz ist nur ein Faden in einem großen Netz – er hängt vom Tempo, von der Pedalisierung, der Form der Hände und des Körpers und dem Gesamtbild der Musik, das jemand hat, ab. Das vorab, bevor wir zu solchen Fragen kommen, wie die, ob Sie eine Taste mit dem dritten oder vierten Finger anschlagen sollten!
Persönlich mache ich zahlreiche „stumme Fingerwechsel“, wobei ich mich umständlich von einer zur nächsten Note hangle. Es ist ein Instinkt – meine Art, einen Klang zu verlängern und ihn quasi in meinem Ohr am Leben zu erhalten. Aber es wäre lächerlich, all dies in eine Partitur zu schreiben (obwohl ich an einigen Stellen wie dem Beginn von Variation 30 in den Diabelli-Variationen versucht habe, dies anzudeuten).
PJ: Sie haben Fingersätze sowohl für Klavier-Solokompositionen als auch für Klavierparts in Kammermusikwerken Beethovens bezeichnet. Gibt es, abgesehen von der unterschiedlichen Funktion der Stimmen, grundlegende Unterschiede im Klaviersatz dieser beiden Genres? Und hat dies Konsequenzen für Ihre Fingersätze?
Das ist eine gute Frage. Wir sehen eine Vielzahl von pianistischen Stilen in der Kammermusik, und ich frage mich, ob Beethoven sich hier etwas freier im Hinblick auf die Quartettstruktur fühlte, die über vielen seiner Klaviersonaten schwebt. Die Violinsonate Es-dur op. 12/3 oder die Cellosonate op. 5/2 zeigen an der Oberfläche eine fast Mendelssohn’sche Brillanz, die in der Solo-Klaviermusik selten zu hören ist, außer vielleicht in einigen der wilden Extrem-Stellen in den Eroica- oder Diabelli-Variationen. Da der Anschlag hier leichter sein muss, sollten wir die Finger anders benutzen. In den Violinsonaten wird beispielsweise die rechte Hand des Pianisten häufig auf eine Mittelstimme unter der Geigenlinie „verbannt“, und die linke Hand spielt oft eine eher melodische Rolle, ähnlich wie ein Cellist in einem Streichtrio. Und dann stellt sich die Frage, wie man ein sinnvolles „Forte“ spielt, ohne den Klang der Streicher zu überdecken – aber das ist ein Thema für sich!
PJ: Vielen Dank für dieses Interview.