„Tempo ist nicht zu de­fi­nie­ren. Tempo hat keine ei­ge­ne Exis­tenz, es
kann also weder falsch noch rich­tig sein.
Was die Welt über­haupt noch nicht ver­stan­den hat: Tempo hat nichts mit Ge­schwin­dig­keit zu tun […]. Es gibt nicht ein ein­zi­ges Tempo, das Sie von Ber­lin nach Lon­don mit­neh­men kön­nen […] Me­tro­no­man­ga­be ,92’. Was ist 92? […] Eine Idio­tie! Denn jeder Saal, jedes Stück, jeder Satz hat ein ei­ge­nes, ab­so­lu­tes Tempo, was diese Si­tua­ti­on – nicht eine an­de­re – wie­der­gibt.“

(aus: Ste­no­gra­phi­sche Um­ar­mung. Ser­giu Ce­li­bi­d­a­che beim Wort ge­nom­men, Con Brio Ver­lag 2002).

Tem­po- und Me­tro­no­man­ga­ben sind immer ein schwie­ri­ges Thema, im heu­ti­gen Blog soll es um die äu­ßerst um­strit­te­nen Me­tro­no­man­ga­ben Schu­manns, ins­be­son­de­re denen der „Kin­der­sze­nen“ gehen. Ein hei­ßes Eisen, ich weiß! Schu­manns Me­tro­no­man­ga­ben sind ja min­des­tens so „pro­ble­ma­tisch“ in ihrer Gül­tig­keit und Ver­bind­lich­keit, wie die­je­ni­gen Beet­ho­vens. Vie­les er­scheint uns Heu­ti­gen ex­trem zu schnell, vie­les wie­der­um viel zu lang­sam. Als Ur­text-Ver­lag hal­ten wir die ori­gi­na­len Me­tro­no­man­ga­ben na­tür­lich für un­be­dingt wich­tig und mit­tei­lens­wert, wes­halb sie in un­se­ren No­ten­aus­ga­ben auch sämt­lich wie­der­ge­ge­ben wer­den. Und ich per­sön­lich bin auch der fes­ten Über­zeu­gung, dass es sich in jedem Falle lohnt, diese An­ga­ben nicht zu igno­rie­ren, son­dern sich zu­nächst ein­mal ernst­haft damit aus­ein­an­der­zu­set­zen. Sie sind eine Chan­ce, kein Är­ger­nis. Und wenn man dann immer noch in deut­lich an­de­rem Grund­tem­po als von Schu­mann vor­ge­schrie­ben spielt, dann ist das we­nigs­tens ein be­wuss­ter, min­des­tens ein biss­chen re­spekt­lo­ser Akt.

Dan­kens­wer­ter Weise hat uns die Ro­bert-Schu­mann-For­schungs­stel­le e.V. Düs­sel­dorf sämt­li­che Me­tro­no­man­ga­ben Schu­manns in einer sehr nütz­li­chen Ta­bel­le zu­sam­men­ge­fasst (alle Opus­zah­len, die in der Liste feh­len, wur­den von Schu­mann nicht mit Me­tro­no­man­ga­ben ver­se­hen): Liste der Me­tro­no­man­ga­ben

Nun aber zu den „Kin­der­sze­nen“ und ihren ex­trem un­be­que­men au­then­ti­schen (!) Me­tro­no­man­ga­ben. Dr. Mi­cha­el Struck, Her­aus­ge­ber et­li­cher Werke un­se­rer Neuen Brahms Ge­samt­aus­ga­be und emi­nen­ter Schu­mann-Ken­ner, hat vor vie­len Jah­ren für den Nord­deut­schen Rund­funk, NDR (Erst­aus­strah­lung am 11. No­vem­ber 2006) eine Sen­dung zur The­ma­tik der Me­tro­no­man­ga­ben bei Schu­mann pro­du­ziert. Dabei geht er auch aus­führ­lich auf die „Kin­der­sze­nen“ ein. Mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des NDR darf ich Ihnen nun unter dem fol­gen­den Link einen etwa 11 Mi­nu­ten dau­ern­den Aus­schnitt aus die­ser sehr hö­rens­wer­ten Pro­duk­ti­on vor­füh­ren. Aber Ach­tung, was jetzt kommt, wird wie ein „Stich in ein Wes­pen­nest“ (Struck) auf Sie wir­ken. Ja, schrei­ben Sie mir doch, wel­che Wir­kung die­ser viel­leicht schmerz­haf­te, viel­leicht heil­sa­me Stich bei Ihnen hat bzw. was Sie per­sön­lich zur The­ma­tik zu sagen haben:

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Auch hö­rens­wert:

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PS: Für das „Schu­mann-Jahr“ hatte ich sei­ner­zeit et­li­che Bei­trä­ge zu mei­nem Lieb­lings­kom­po­nis­ten ver­öf­fent­licht u.a. auch zum Me­tro­nom-The­ma. Wenn Sie sich ver­tie­fen wol­len, bit­te­schön: Schu­mann-Fo­rum 2010.

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3 Antworten auf »Schumanns Metronomangaben in seinen „Kinderszenen“. Chance, nicht Ärgernis.«

  1. Weinert sagt:

    … kenntnisreich, instruktiv, fundiert und nützlich, wie alles von Ihnen aund aus Ihrem Hause.

    Freundliche Grüße
    Roland Weinert.

  2. Wolfdietrich Stephan sagt:

    Sehr instruktiv, mich würde interessieren, was von der Metronomangabe Schumanns im ersten Satz des Klavierkonzertes a-Moll zu halten ist, die mit Halbe = 84 bedeutend schneller als die üblichen Interpretationen notiert ist. Sehr merkwürdig auch, dass die “normalen” Interpretationen nach dem Klavier-Vorspiel den Bläsereinsatz ziemlich langsam beginnen, auch wenn der Komponist nichts dergleichen vorschreibt, gibt es dafür irgendeine Berechtigung?
    Es interessiert mich auch sehr, wie Clara Schumanns Metronom-Angaben zu diesem Satz sind, immerhin hat sie dieses Werk ja uraufgeführt.
    mit freundlichen Grüßen, Wolfdietrich Stephan

  3. Peter Jost sagt:

    Sehr geehrter Herr Stephan,
    da ich Schumanns Klavierkonzert herausgegeben habe, möchte ich Ihnen zu Ihrer Frage antworten. Die Metronomangabe Halbe = 84 findet sich sowohl im Partiturautograph als auch in der gedruckten Solostimme. Auch in der von Clara Schumann herausgegebenen ersten Gesamtausgabe steht die gleiche Angabe, die sicherlich als authentisch gelten kann.
    Die Verlangsamung beim Themeneinsatz hat meiner Meinung nach mit der überaus kantablen Struktur (die wie ein Seitenthema wirkt, das in nahezu allen Sonatensätzen im 19. Jahrhundert langsamer als das Hauptthema vorgetragen wird) zu tun, die durch “espressivo” noch zusätzlich unterstrichen wird. Da dürfte sich rasch eine Aufführungstradition etabliert haben, die heute nur noch schwer zu durchbrechen ist.
    Mit freundlichen Grüßen
    Peter Jost

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