Sie haben es im Ohr, die­ses Schlacht­ross für Or­ches­ter oder für einen Pia­nis­ten, das uns – wenn es über­zeu­gend in­ter­pre­tiert wird – bei­na­he irre macht mit sei­nem rausch­haf­ten Tempo und sei­nem dia­bo­li­schen, im lang­sa­men Mit­tel­teil lust­vol­len Vor­wärts­stre­ben? Und jetzt ein­mal ehr­lich: Kön­nen Sie auch eine Me­lo­die aus Liszts Faust-Sym­pho­nie pfei­fen?

Es ist immer wie­der er­staun­lich, was die Nach­welt aus dem Schaf­fen eines Kom­po­nis­ten als er­hal­tens­wert her­aus­fil­tert und was dann davon in den Kanon des All­be­kann­ten über­geht. Für Liszt selbst waren die „Zwei Epi­so­den aus Lenau’s Faust“, deren zwei­te der Me­phis­to­wal­zer ist, nur ein „Des­sert“ oder ein „Bei­werk“ zu sei­ner Faust-Sym­pho­nie (so Liszt wört­lich in Brie­fen an sei­nen Ver­le­ger Schu­berth), die all­ge­mein als sein or­ches­tra­les Ma­gnum Opus ge­fei­ert wird. Aber weder die Faust-Sym­pho­nie noch die Erste Epi­so­de „Der nächt­li­che Zug“ – Ken­nen Sie die viel­leicht? – kön­nen heute an die Po­pu­la­ri­tät des Wal­zers her­an­rei­chen. – Üb­ri­gens, Liszt schrieb noch drei wei­te­re Me­phis­to­wal­zer und eine Me­phis­to­pol­ka …

Ti­tel­blatt der Erst­aus­ga­be von 1862

Der Me­phis­to­wal­zer „Nr. 1“ er­schien, wie beim Be­ar­bei­tungs­welt­meis­ter Liszt nicht an­ders zu er­war­ten, gleich in meh­re­ren Be­set­zun­gen, für Or­ches­ter, für Kla­vier solo und für Kla­vier zu vier Hän­den. Der Ver­lag er­gänz­te diese Liste ei­ni­ge Jahre spä­ter noch durch eine Fremd­be­ar­bei­tung für zwei Kla­vie­re. Aber nicht nur be­ar­bei­ten, auch über­ar­bei­ten lag Liszt be­kann­ter­ma­ßen sehr, und im Fall des Me­phis­to­wal­zers exis­tiert zum Bei­spiel ein Al­ter­na­tiv­schluss für die Or­ches­ter­fas­sung, der ku­rio­ser­wei­se zwar im Nach­hin­ein von Liszt auch für die Be­ar­bei­tung für Kla­vier zu vier Hän­den nachar­ran­giert, für die Kla­vier so­lo-Fas­sung aber wohl nicht in Be­tracht ge­zo­gen wurde. (Bei der Menge der Be­ar­bei­tun­gen hatte an­schei­nend sogar der Kom­po­nist selbst den Über­blick ver­lo­ren.)

Hier soll nun aber die Rede sein von einer Über­ar­bei­tung des Wal­zers, die bei dem ein oder an­de­ren viel­leicht doch ein Stirn­run­zeln pro­vo­zie­ren wird. Mit dem Er­schei­nen des Stücks in der Liszt-Ge­samt­aus­ga­be im un­ga­ri­schen Ver­lag Edi­ti­on Mu­si­ca Bu­da­pest 1982 ge­sell­ten sich zwei ver­meint­li­che Ein­schü­be zum Me­phis­to­wal­zer für Kla­vier solo (beide fin­den sich auch in der von Les­lie Howard 2007 in der Edi­ti­on Pe­ters vor­ge­leg­ten Aus­ga­be). Der No­ten­text die­ser „Ein­schü­be“ geht auf ein au­to­gra­phes No­ten­blatt zu­rück, das im Goe­the- und Schil­ler-Ar­chiv Wei­mar auf­be­wahrt wird. Der erste dort no­tier­te Ab­schnitt um­fasst 30 Takte und wurde als al­ter­na­ti­ve Über­lei­tung zum lang­sa­men Mit­tel­teil in­ter­pre­tiert. Im zwei­ten Ab­schnitt da­ge­gen sah man 122 neue Takte zum Mit­tel­teil mit einer neuen Über­lei­tung zum Pres­to. (Ich er­spa­re Ihnen hier die ge­nau­en De­tails, die Sie im Vor­wort zu un­se­rer Aus­ga­be nach­le­sen kön­nen.)

Über­se­hen wurde bei die­ser Ana­ly­se al­ler­dings eine ent­schei­den­de Notiz des Kus­tos des Wei­ma­rer Liszt-Mu­se­ums, Peter Raabe, auf dem Um­schlag, in dem das No­ten­blatt über­lie­fert ist. Dort heißt es: „die ein­lie­gen­de Va­ri­an­te zum Me­phis­to­wal­zer ist Ei­gen­tum der Ba­ro­nin Mey­en­dorff. Im Früh­jahr 1914 zu­rück­zu­ge­ben. Be­zieht sich auf die alte Schu­berth­sche Aus­ga­be des 1. Me­phis­to­wal­zers. Die erste Stel­le ist der An­fang, dann fort­zu­fah­ren S. 11 (also die ers­ten 10 Sei­ten soll­ten weg­blei­ben). Die zwei­te Stel­le weist auf S. 13.“ Raa­bes Kon­struk­ti­on die­ser „Va­ri­an­te“ des Wal­zers ist wört­lich zu neh­men: Das erste Notat auf dem au­to­gra­phen No­ten­blatt ist ein al­ter­na­ti­ver Be­ginn des Stücks, dann fol­gen S. 11 bis 13 der Erst­aus­ga­be bei Schu­berth (die An­schluss­stel­len sind ein­deu­tig), an­schlie­ßend endet das Stück mit dem zwei­ten Ab­schnitt auf dem au­to­gra­phen No­ten­blatt. Sie kön­nen sich in der Blät­ter­da­tei zur Ur­text­aus­ga­be auf un­se­rer Web­site die Re­kon­struk­ti­on an­se­hen.

Aber was ist aus dem be­rühm­ten Me­phis­to­wal­zer nun ge­wor­den? Ba­ro­nin von Mey­en­dorff, lang­jäh­ri­ge Ver­trau­te Liszts, war nach allem, was wir heute wis­sen, eine gute Kla­vier­spie­le­rin. Liszt kom­po­nier­te ei­ni­ge klei­ne­re Stü­cke für sie und auch diese Be­ar­bei­tung des Me­phis­to­wal­zers war wohl für ihren Pri­vat­ge­brauch zu­sam­men­ge­stellt. Sämt­li­che vir­tuo­sen Pas­sa­gen wur­den ra­di­kal ge­kürzt, die Musik kon­zen­triert sich auf den schwär­me­ri­schen Mit­tel­teil, der aus­ge­baut wird. Selbst die Pres­to-Ein­wür­fe im Mit­tel­teil sind eli­mi­niert, eben­so wie die schwie­ri­gen Ton­re­pe­ti­tio­nen – im No­ten­text kommt keine ein­zi­ge Sech­zehn­tel­no­te mehr vor. Me­phis­to und sein wil­der Tanz wur­den aus die­sem Wal­zer chir­ur­gisch ent­fernt – was bleibt, ist Fausts Buh­len um das brü­net­te Mäd­chen aus Len­aus Ge­dicht.

Der Me­phis­to­wal­zer, pia­nis­tisch zu be­wäl­ti­gen von „je­der­mann“ – ist er sei­nes Na­mens noch wert?

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