Ken­nen Sie die Lo­re­ley? Be­kannt­lich schau­te sie ja bei St. Goar (für man­chen ver­häng­nis­voll) vom hohen Stein tief in den Rhein… Aber nicht bei Henle: In un­se­rer Aus­ga­be vom Lie­der­kreis op. 39 (HN 550) steht das Schloss der Lo­re­ley im Wal­des­ge­spräch einer Text­kor­rek­tur Schu­manns fol­gend auf einem „Fels“ – wo­durch der Ei­chen­dorff­sche Reim auf „Rhein“ zwar perdu, die Prä­gnanz des Aus­drucks aber enorm ge­stei­gert ist. Ob sol­che Ab­wei­chun­gen eines Lied­tex­tes von sei­ner Vor­la­ge er­laubt, sinn­voll oder in einer ver­läss­li­chen Aus­ga­be wo­mög­lich als Feh­ler zu kor­ri­gie­ren sind, ist eine viel dis­ku­tier­te Frage, der sich jeder Her­aus­ge­ber einer Lie­daus­ga­be stel­len muss.

Im­mer­hin kann man bei Ro­bert Schu­mann davon aus­ge­hen, dass die­ser Dich­tung und Musik glei­cher­ma­ßen zu­ge­ta­ne Künst­ler seine Lied­tex­te sehr be­wusst nie­der­ge­schrie­ben und sich bei even­tu­el­len Ein­grif­fen in die Ge­dich­te auch etwas ge­dacht hat. Be­le­gen lässt sich dies frei­lich nur, wenn wir die kon­kret zur Kom­po­si­ti­on be­nutz­te Text­vor­la­ge ken­nen. Bei Opus 39 sind wir in die­ser glück­li­chen Lage: Schu­mann griff hier auf eine 1839 ge­mein­sam mit Clara be­gon­ne­ne Samm­lung von Ge­dicht­ab­schrif­ten zu­rück (Zwi­ckau, Ro­bert-Schu­mann-Haus), in die Clara die Ei­chen­dorff-Tex­te of­fen­bar di­rekt nach der Erst­aus­ga­be Ge­dich­te von Jo­seph Frei­herrn von Ei­chen­dorff (Ber­lin 1837)ko­pier­te.

Gedichatbschrift WaldgesprächVon die­ser Vor­la­ge wei­chen Ro­berts im Früh­ling 1840 ent­stan­de­ne Ver­to­nun­gen nun al­ler­dings in man­cher Hin­sicht ab: sei es, dass ganze Stro­phen ge­stri­chen (so ge­sche­hen in Die Stil­le), ein­zel­ne Worte er­setzt oder um­ge­stellt sind oder auch nur Satz­zei­chen ver­än­dert wur­den. So singt die Nach­ti­gall in Weh­mut „aus ihres Ker­kers [statt: Kä­figs] Brust“, und im Zwie­licht macht Schu­mann aus Ei­chen­dorffs „Was heut müde gehet unter“ das un­gleich mü­de­re „Was heut gehet müde unter“, um in der Schluss­phra­se durch das „Hüte dich, sei [statt: bleib] wach und mun­ter“ nicht nur die Dring­lich­keit der Auf­for­de­rung zu ver­stär­ken, son­dern dem Sän­ger zu­gleich den schwie­rig zu spre­chen­den Dop­pel­kon­so­nan­ten „bl“ zu er­spa­ren.

Sol­che in­halt­lich, me­trisch-mu­si­ka­lisch oder auch sprach­lich mo­ti­vier­ten Ein­grif­fe in die Vor­la­ge­tex­te wei­sen viele Lie­der Schu­manns auf, und bei Opus 39 wurde diese dich­te­ri­sche Frei­heit sogar von Ei­chen­dorff selbst sank­tio­niert. Clara zu­fol­ge äu­ßer­te er sich nach einem Kon­zert als „ent­zückt über Ro­berts Com­po­si­tio­nen sei­ner Lie­der – er mein­te, er habe seine Ge­dich­te erst zum Leben ge­bracht“. Wäh­rend es sich hier von selbst ver­steht, dass man als Her­aus­ge­ber Schu­manns Text un­an­ge­tas­tet lässt, wer­fen an­de­re Va­ri­an­ten durch­aus Fra­gen auf. So bleibt der Vor­zug von „Über’n Gar­ten“ statt „Über’m Gar­ten“ in der Früh­lings­nacht eben­so un­klar wie der mög­li­che Grund für die Ver­schie­bung der Wet­ter­la­ge in Auf einer Burg, wo Schu­mann die Re­gen­schau­er „drü­ben [statt: drü­ber] gehen“ lässt. Man­cher spä­te­re Her­aus­ge­ber ver­mu­te­te hier ein Schreib­ver­se­hen Schu­manns, das nur ver­se­hent­lich auch in den Druck ein­ging, und stell­te kur­zer­hand das Ei­chen­dorff­sche Ori­gi­nal wie­der her.

Bei der in vie­len Aus­ga­ben zu fin­den­den Re­sti­tu­ti­on von „Stein“ für den Schu­mann­schen „Fels“ im ein­gangs er­wähn­ten Wal­des­ge­spräch muss dies al­ler­dings ei­ni­ger­ma­ßen ver­wun­dern, denn hier ist kei­nes­falls ein Ver­se­hen des Kom­po­nis­ten zu ver­mu­ten. Viel­mehr strich Schu­mann selbst in sei­nem Kom­po­si­ti­ons­au­to­graph (Ber­lin, Staats­bi­blio­thek) das ur­sprüng­lich no­tier­te „Stein“ aus, um es zu „Fels“ zu än­dern.

Mit die­sem Text er­schien das Lied im Erst­druck von 1842 bei Has­lin­ger in Wien, und auch als Schu­mann den Ei­chen­dorff-Zy­klus 1849/50 für eine Neu­aus­ga­be bei Whist­ling in Leip­zig re­vi­dier­te – wobei er ge­ra­de im Wal­des­ge­spräch so man­che Än­de­rung vor­nahm –, blieb der „Fels“ un­an­ge­tas­tet, wie man der Stich­vor­la­ge (Ro­ches­ter, Si­bley Music Li­bra­ry) ent­neh­men kann.

Haslinger-Ausgabe

Die heute ge­läu­fi­ge Va­ri­an­te mit „Stein“ fin­det sich erst in der nach Ro­berts Tod von Clara bei Breit­kopf & Här­tel her­aus­ge­ge­be­nen Schu­mann-Ge­samt­aus­ga­be (1879–93), auf die zahl­rei­che spä­te­re Aus­ga­ben zu­rück­ge­hen. Ob diese Rück­än­de­rung wegen des Reim­ver­lus­tes oder aus an­de­ren Grün­den ge­schah, ist heute nicht mehr zu klä­ren. Dass sie Ro­bert Schu­manns Wil­len ent­sprach, steht aber nicht zu ver­mu­ten – wes­we­gen un­se­re Schu­mann-Her­aus­ge­be­rin Ka­zu­ko Ozawa in ihrer Aus­ga­be des Lie­der­krei­ses auch Ro­berts „Fels“ den Vor­zug gab. Und wir sind nun ge­spannt, wann auf youtube die erste Ein­spie­lung des Lie­des mit die­sem Text zu hören sein wird.

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