Vor allem für Pia­nis­ten und Strei­cher steht der Name Henle für ver­läss­li­che Ur­text-Aus­ga­ben ihres klas­si­schen Re­per­toires – da der Ver­lags­grün­der Gün­ter Henle selbst Pia­nist war, lag der Schwer­punkt der frü­hen Ver­lags­jah­re auch auf der ent­spre­chen­den Li­te­ra­tur. Doch in­zwi­schen haben sich eben­falls die Blas­in­stru­men­te einen fes­ten Platz im Ka­ta­log ge­si­chert.

Ein kur­zer Streif­zug durch un­se­ren Blech­blä­ser-Ka­ta­log…

Die erste Ur­text-Aus­ga­be eines Werks mit Be­tei­lung von Blas­in­stru­men­ten er­schien erst 1972 mit Beet­ho­vens Quin­tett op. 16 für Kla­vier, Oboe, Kla­ri­net­te, Horn und Fa­gott
(HN 222). Das erste So­lo­werk für ein Blas­in­stru­ment muss­te noch drei Jahre län­ger war­ten – die ex­qui­si­ten Kla­ri­net­ten­so­na­ten op. 120 von Jo­han­nes Brahms (HN 274, dem­nächst re­vi­diert als HN 987) waren dabei ein wür­di­ger Pre­mie­ren­ti­tel. Wäh­rend un­se­re Holz­blä­ser-Aus­ga­ben in den Fol­ge­jah­ren immer stär­ke­ren Zu­wachs ver­zeich­ne­ten, fan­den die Blech­blä­ser erst re­la­tiv spät Ein­gang in den Ur­text-Ka­ta­log. Den ers­ten Schritt mach­te Jo­seph Haydn: 1991 er­schie­nen zu­gleich das Trom­pe­ten­kon­zert (HN 456) und das ein­zi­ge au­then­ti­sche Horn­kon­zert (HN 461) als Ein­zel­aus­ga­ben.

In­zwi­schen kön­nen die Mu­si­ker bei na­he­zu allen her­aus­ra­gen­den klas­sisch-ro­man­ti­schen So­lo­wer­ken für Blech auf zu­ver­läs­si­ge Hen­le-Ur­text­aus­ga­ben zu­rück­grei­fen, seien es Mo­zarts Horn­kon­zer­te oder sein Horn­quin­tett KV 407, Beet­ho­vens Horn­so­na­te op. 17 (HN 498), das Trom­pe­ten­kon­zert von Hum­mel (HN 840), Schu­manns Ada­gio und Al­le­gro op. 70 (HN 1023) oder die Vil­lanel­le von Paul Dukas (HN 1170). Und selbst die Po­sau­ne hat einen Platz in un­se­rem Ka­ta­log ge­fun­den mit Saint-Saëns’ Ca­vati­ne op. 144 (HN 1119), und nicht zu ver­ges­sen Beet­ho­vens 3 Equa­le für vier Po­sau­nen (HN 1151).

…und eine neue Ent­de­ckung

Mit Ro­bert Schu­manns Kon­zert­stück für 4 Hör­ner op. 86 aus dem Jahr 1849, das in Kürze er­scheint (HN 1138), schlie­ßen wir nun eine wich­ti­ge Lücke in un­se­rem ro­man­ti­schen Blä­ser-Re­per­toire. Unser Her­aus­ge­ber, der Schu­mann-Ex­per­te Ernst Herttrich, zog neben der Erst­aus­ga­be von 1851 na­tür­lich auch das Au­to­graph aus der Ber­li­ner Staats­bi­blio­thek heran und mach­te darin eine in­ter­es­san­te Ent­de­ckung zur No­ta­ti­on der Horn­stim­men, die bis­lang in kei­ner mo­der­nen Aus­ga­be be­rück­sich­tigt wurde.

Schu­mann mach­te be­kannt­lich von den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten des neuen Ven­til­horns regen Ge­brauch und be­dien­te sich einer völ­lig frei­en Chro­ma­tik wie bei einem Vo­kal- oder Kla­vier­satz. Seine kühne Schreib­wei­se für Horn wird schon im kurz vor dem Kon­zert­stück ent­stan­de­nen Ada­gio und Al­le­gro deut­lich – eine Pas­sa­ge in Fis-dur wie die fol­gen­de wäre auf dem Na­tur­horn un­denk­bar ge­we­sen:

Und auch im Kon­zert­stück nutzt Schu­mann die neuen chro­ma­ti­schen Mög­lich­kei­ten des vier­stim­mi­gen Horn­sat­zes voll aus, etwa in die­sem ly­ri­schen Ein­schub im Fi­nal­satz:
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In den So­lo­stim­men der Erst­aus­ga­be (vor allem im 4. Horn) sind nun die har­mo­ni­schen Ver­hält­nis­se oft da­durch ver­un­klart, dass zahl­rei­che Töne durch en­har­mo­ni­sche Ver­wechs­lung für die Spie­ler „ein­fa­cher“ no­tiert wur­den, d. h. statt eis steht mehr­fach (aber auch nicht kon­se­quent) ein f, statt ais ein b, statt fisis ein g usw. Dies dürf­te den prag­ma­ti­schen Hin­ter­grund haben, dass die Hor­nis­ten in jener Zeit we­sent­lich tra­di­tio­nel­le­re Kom­po­si­tio­nen für Horn ge­wöhnt waren und mit die­sen chro­ma­ti­schen Va­ri­an­ten nicht ver­traut waren.

Diese Um­no­tie­run­gen, die si­cher vom Ver­lag oder von den Spie­lern der Ur­auf­füh­rung stam­men, wur­den zwar von Schu­mann bei der Kor­rek­tur­le­sung des Erst­drucks nicht zu­rück­ge­nom­men; es ist aber frag­lich, ob er sie über­haupt be­merkt hat, oder ob ein­fach der tech­ni­sche Auf­wand einer Kor­rek­tur zu groß war und sie daher ste­hen blie­ben. Die Folge war je­den­falls, dass sämt­li­che dar­auf­fol­gen­den Aus­ga­ben des Kon­zert­stücks bis heute diese un­sau­be­re No­ta­ti­on bei­be­hal­ten haben, die viel­leicht ur­sprüng­lich nicht mehr war als eine Esels­brü­cke, die sich die So­lis­ten für ihre ei­ge­nen Zwe­cke ins Ur­auf­füh­rungs­ma­te­ri­al ein­ge­tra­gen hat­ten.

Da der Grund einer leich­te­ren Les­bar­keit für heu­ti­ge Hor­nis­ten kei­ner­lei Rolle mehr spie­len soll­te, ent­schie­den wir uns dafür, zu Schu­manns ori­gi­na­ler No­ta­ti­on gemäß dem Au­to­graph zu­rück­zu­keh­ren, die die je­wei­li­gen har­mo­ni­schen Ver­hält­nis­se viel kla­rer wi­der­spie­gelt und dem Spie­ler damit wert­vol­le Hin­wei­se gibt – ein fisis als Leit­ton zu gis ist eben doch etwas an­de­res als ein g, vor allem bei einem so in­to­na­ti­ons­sen­si­blen In­stru­ment wie dem Horn. Zahl­rei­che Hor­nis­ten be­stärk­ten uns in die­sem Ent­schluss.

Aus­blick

Wie geht es wei­ter mit dem Horn? Die nächs­ten Aus­ga­ben ste­hen schon in den Start­lö­chern: Im Früh­jahr 2014 dür­fen sich die Hor­nis­ten auf eine Ur­text-Aus­ga­be von Carl Niel­sens Canto se­rio­so freu­en, und Alex­an­der Gla­su­nows be­zau­bern­de Rêverie op. 24 ist eben­falls be­reits in Vor­be­rei­tung. Na­tür­lich sind wir als Ver­lag immer auch an Rück­mel­dun­gen aus der Pra­xis in­ter­es­siert und für Wün­sche nach feh­len­den Wer­ken dank­bar. Falls Sie also als Hor­nis­tin oder Hor­nist eine be­stimm­te Aus­ga­be auf dem Markt ver­mis­sen, schrei­ben Sie einen Kom­men­tar – hier ist die Ge­le­gen­heit … !

Ro­bert Schu­mann: Kon­zert­stück für 4 Hör­ner op. 86


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2 Antworten auf »„Des Waldhorns süßer Klang“ – Entdeckungen in Schumanns Konzertstück Opus 86«

  1. Jacob Buis sagt:

    Sehr interessante Beobachtungen, und auch meines Erachtens ist es nur richtig, Schumanns Autograph zu folgen. Aber jetzt die Frage: Wie sieht das in der Klavierfassung dieses Konzertstückes aus?

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