Portrait Janacek

Leoš Janáček

Wenn zur Reihe der Kom­po­nis­ten in un­se­rem Ur­text-Ka­ta­log ein neuer Name hin­zu­tritt, ist das immer ein be­son­de­rer Mo­ment – und im ak­tu­el­len Fall gilt das ganz be­son­ders, denn mit der Blä­ser­sui­te Mládí von Leoš Janáček (1854–1928) hält das XX. Jahr­hun­dert bei Henle nun auch im Be­reich der tsche­chi­schen Musik sei­nen Ein­zug. Dass der Ver­lag dies erst im 6. Jahr­zehnt nach sei­ner Grün­dung rea­li­sie­ren kann, passt üb­ri­gens gut: Just in die­sem Le­bens­jahr­zehnt ent­fal­te­te näm­lich auch Janáček seine höchs­te Pro­duk­ti­vi­tät, wofür es pri­va­te, pro­fes­sio­nel­le und po­li­ti­sche Grün­de gibt.

 

 

Ka­mil­la Stöss­lo­va (1891-1935)

Zum einen brach­te ihm die Pra­ger Wie­der­auf­füh­rung sei­ner Oper Jenůfa 1916 end­lich die er­sehn­te öf­fent­li­che An­er­ken­nung als Büh­nen­kom­po­nist, zum zwei­ten ver­setz­te 1918 die Grün­dung der Tsche­chi­schen Re­pu­blik den glü­hen­den Na­tio­na­lis­ten in Hoch­ge­füh­le, zum drit­ten be­scher­te der end­gül­ti­ge Rück­zug aus dem Lehr­be­trieb dem Mitt­sech­zi­ger 1919 nun auch ge­nü­gend Zeit für das Kom­po­nie­ren. Vor allem aber hatte er 1917 in der fast 40 Jahre jün­ge­ren Ka­mil­la Stöss­lová eine Muse ge­fun­den, die nicht nur seine per­sön­li­chen Ge­füh­le, son­dern auch seine künst­le­ri­schen Kräf­te auf ge­ra­de­zu un­glaub­li­che Weise ent­flamm­te.

Und so schrieb Janáček in sei­nem letz­ten Le­bens­jahr­zehnt neben fast 700 Lie­bes­brie­fen (in­zwi­schen von John Tyr­rell ver­öf­fent­licht) auch noch zahl­rei­che Kom­po­si­tio­nen, dar­un­ter meh­re­re Opern, seine be­rühm­te Sin­fo­ni­et­ta, die klang­ge­wal­ti­ge Gla­goli­ti­sche Messe – ganz zu schwei­gen von der ori­gi­nel­len Kla­vier- und Kam­mer­mu­sik, für die sich der G. Henle Ver­lag na­tur­ge­mäß be­son­ders in­ter­es­siert.

Al­ler­dings ist es durch­aus eine Her­aus­for­de­rung, Werke wie die sprit­zi­ge Blä­ser­sui­te Mládí (HN 7093/1093) im Ur­text her­aus­zu­ge­ben, denn die schöp­fe­ri­sche Ar­beit des Kom­po­nis­ten ver­teilt sich meist auf zahl­rei­che Quel­len, in denen viele ver­schie­de­ne Hände Än­de­run­gen und Er­gän­zun­gen vor­neh­men.

Mládí, Aus­schnitt aus dem Au­to­graph (Brünn, Mäh­ri­sches Lan­des­mu­se­um, Janáček-Ar­chiv)

So spielt bei Mládí das (wun­der­schön no­tier­te!) Au­to­graph eine eher un­ter­ge­ord­ne­te Rolle, wäh­rend ver­schie­de­ne (!) ab­schrift­li­che Stim­men­sät­ze und Par­ti­tu­ren für die ers­ten Auf­füh­run­gen in Brünn und Prag Zeu­gen zahl­rei­cher Ver­än­de­run­gen sind, die der Kom­po­nist in Zu­sam­men­ar­beit mit den In­ter­pre­ten vor­nahm – aber nicht un­be­dingt selbst no­tier­te, son­dern eben auch von den Mu­si­kern oder sei­nen ver­trau­ten Ko­pis­ten ein­tra­gen ließ. Und die be­reits vor der ers­ten Auf­füh­rung er­stell­te Stich­vor­la­ge der Par­ti­tur wurde zwar immer wie­der durch Nach­trä­ge ak­tua­li­siert, aber auch hier­in mi­schen sich so viele Schreib­schich­ten, dass eine Au­to­ri­sie­rung jeder ein­zel­nen Ein­tra­gung nicht ge­währ­leis­tet ist.

Leoš Janáček - Mládí, Aus­schnitt aus der Stich­vor­la­ge, 1. Satz, Schluss (Brünn, Mäh­ri­sches Lan­des­mu­se­um, Janáček-Ar­chiv)

Die­ses Prin­zip von „Schrei­ben und schrei­ben las­sen“ setzt sich bis in die Erst­aus­ga­ben fort: Janáček ließ den Ver­lags­mit­ar­bei­tern mit­un­ter recht freie Hand, so dass sich ins­be­son­de­re in Stim­men­aus­ga­ben häu­fig Zu­sät­ze von frem­der Hand fin­den. Um­ge­kehrt lehrt das Bei­spiel von Mládí, dass auch nicht alle Än­de­run­gen Janáčeks Ein­gang fan­den in die beim Pra­ger Ver­lag Hu­dební ma­ti­ce er­schie­ne­ne Erst­aus­ga­be.

Brünner Stimme

Aus­schnitt aus der Brün­ner Horn­stim­me mit Kor­rek­tur des Ko­pis­ten, 1. Satz, Schluss (Brünn, Mäh­ri­sches Lan­des­mu­se­um, Janáček-Ar­chiv)

Aus­schnitt aus der Pra­ger Horn­stim­me mit der spä­te­ren Va­ri­an­te, 1. Satz, Schluss (Prag, Kon­ser­va­to­ri­um, Ar­chiv)

Aus­schnitt aus der Erst­aus­ga­be mit der frü­he­ren Va­ri­an­te (4. Zeile), 1. Satz, Schluss

 

Jiří Zahrádka

Der vom Kom­po­nis­ten ge­wünsch­te Werk­text ver­birgt sich so in einem Di­ckicht der Über­lie­fe­rung, das auf’s sorg­fäl­tigs­te zu un­ter­su­chen ist – wofür wir uns eines Spe­zia­lis­ten ver­si­chert haben, der im wahrs­ten Sinne des Wor­tes an der Quel­le sitzt: Als Ku­ra­tor des Janáček-Ar­chivs des Mäh­ri­schen Lan­des­mu­se­ums in Brünn ist Jiří Zahrádka mit der rei­chen Über­lie­fe­rung zu Leben, Werk und Wir­kung Janáčeks bes­tens ver­traut. Er hat für uns aus der Summe der Quel­len (die hier erst­mals voll­stän­dig in eine Edi­ti­on des Werks ein­ge­hen) eine Par­ti­tur von Mládí er­stellt, die Janáčeks ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen eines letzt­gül­ti­gen Werk­tex­tes so nahe wie mög­lich kommt und zu­gleich in der Über­lie­fe­rung do­ku­men­tier­te Al­ter­na­ti­ven trans­pa­rent und mu­si­zier­bar macht, indem bei­spiels­wei­se die lang­sa­me­ren Tempi der Brün­ner Erst­auf­füh­rung in Fuß­no­ten do­ku­men­tiert sind.

1. Seite aus der neuen Ur­text­aus­ga­be

Zudem haben wir für unser „Janáček-Pro­jekt“ mit der Uni­ver­sal Edi­ti­on Wien einen Janáček -Ver­lag der ers­ten Stun­de als Ko­ope­ra­ti­ons­part­ner ge­won­nen, des­sen lang­jäh­ri­ge Er­fah­rung mit den kom­ple­xen Par­ti­tu­ren gro­ßer Büh­nen- und Or­ches­ter­wer­ke des tsche­chi­schen Meis­ters (zu­letzt in der kri­ti­schen Neu­aus­ga­be der Sache Ma­kro­pou­los – eben­falls durch Jiří Zahrádka) un­se­ren Aus­ga­ben zu­gu­te­kommt. Denn Mládí ist nur der An­fang: Freu­en Sie sich mit uns auf zahl­rei­che wei­te­re Ent­de­ckun­gen aus der mäh­ri­schen Klang­welt von Leoš Janáček!

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