Das ungemein heitere D-dur-Trio aus dem Menuett von Mozarts sonst so düster-dramatischem d-moll-Streichquartett KV 421 gehört schon immer zu meinen Lieblingsstücken. Die erste Violine, begleitet von simpler „pizzicato“-Begleitung der Unterstimmen, spielt dabei raffiniert mit Volksmusik-Anklängen: zum einen stimmt sie ganz offenkundig einen Jodler an, erkennbar an der simplen Dreiklangsmelodik, bei der gewissermaßen die Bruststimme immer wieder in die „Kopfstimme“ umschlägt, eben wie bei einem echten alpenländischen Jodler; zum andern durchzieht den ganzen Satz geradezu prototypisch der sogenannte „lombardische“ Rhythmus, untrügliches Kennzeichen etwa für schottische, ungarische oder slawische Volksmusik (erkennbar am umgekehrt punktierten, synkopischen Rhythmus):
Hören wir uns das kurze Stück in der großartigen Aufführung des Jerusalem String Quartets an:
KV 421, Trio, Jerusalem String Quartet
Wie die meisten Henle-Blog-Leser bereits wissen, erarbeite ich derzeit die Urtextausgaben sämtlicher Streichquartette Mozarts. Band IV ist bereits erschienen, Band III mit den sechs Haydn gewidmeten Quartetten erscheint im nächsten Jahr (2018). Hierin kommt auch unser kleines Trio vor. Und just dieses Trio enthält ein kleines, gar nicht (so leicht) lösbares Editionsproblem. Es sei kurz vorgestellt – Ihre Meinung dazu würde mich brennend interessieren:
Ein einziges Mal, nämlich in Takt 14, notiert Mozart in seiner eigenhändigen Niederschrift des Satzes nicht den „lombardischen“, sondern den „normalen“ punktierten Rhythmus:
Ein Schreibfehler? Möglich, denn selbst ein Mozart verschreibt sich gelegentlich. Und gewissermaßen erschwerend kommt hinzu, dass just diese Stelle in der Erstausgabe wie zu erwarten, nämlich lombardisch, gestochen und gedruckt ist.
Diese Erstausgabe erschien 1785 gewissermaßen unter den Augen Mozarts beim Wiener Verlag Artaria und sie ist insofern von erstrangiger Quellenbedeutung, als ihr Notentext zwar viele Flüchtigkeiten und Ungenauigkeiten, jedoch auch an zahlreichen Stellen Ergänzungen über das Autograph hinaus enthält (vor allem dynamische Zeichen); diese Ergänzungen und Korrekturen sind so markant, dass sie nur auf Mozart selbst zurückgehen können. Es liegt also auf der Hand, dass Mozart seinen ursprünglich in der autographen Partitur niedergelegten Text im daraus herauskopierten Stimmenmaterial verfeinerte und korrigierte. Mozart’sche Privataufführungen der „Haydn-Quartette“ sind brieflich belegt. Das von ihm korrigierte Stimmenmaterial, das dann dem Notenstecher als Stichvorlage zur Erstausgabe diente, ist freilich verloren.
Alle die vielen Druckausgaben des 19. Jahrhunderts bis etwa zur Hälfte des 20. Jahrhunderts basieren auf dieser Erstausgabe. Unsere fragliche Stelle – natürlich – immer mit dem lombardischen Rhythmus. Zahlreiche Schallplattenaufnahmen aus der Zeit bis etwa 1960 dokumentieren diese – problematische – Lesart, denn die meisten Quartette des frühen 20. Jahrhunderts spielten aus der seinerzeit viel genutzten, heute freilich wertlosen, weil nicht textkritischen, Edition Peters-Ausgabe. Hier als Beispiel die Heroen meiner Jugend, das Juilliard Quartet :
KV 421,Trio, Juilliard Quartet
Bis dann Alfred Einstein kam und die 10 „berühmten“ Streichquartette Mozarts erstmals nach textkritischer Methode (im Verlag Novello 1945) herausbrachte. Ein Markstein der Editionsgeschichte, denn Einstein konnte zahllose Überlieferungsfehler dieser Werke, auch des d-moll-Quartetts, durch akribisches Vergleichen mit dem Autograph entlarven und richtigstellen. Er bringt die Stelle aus dem Trio von KV 421 gemäß Autograph, ohne jeden Kommentar. Ludwig Finschers quellen- und textkritische Editionsarbeit für die Neue Mozart-Ausgabe (NMA, 1962) und das Bärenreiter-Stimmenmaterial basieren auf Einsteins Ausgabe (dabei übernahm er gute Entscheidungen Einsteins, aber leider auch viele seiner Fehler). An unserer Stelle gibt diese Ausgabe die autographe, nicht der Erstausgaben-Lesart wieder, also nicht lombardisch, sondern:
Ich kenne kein Streichquartettensemble von heute, das nicht diesem Text folgen würde.
Doch welche Fassung ist die richtige, also die von Mozart gewünschte? Beide Quellen, Autograph wie Erstausgabe, haben primären Rang. Ein schier unlösbarer Konflikt. Sicherlich: Mozarts Handschrift ist eindeutig und der Stecher der Erstausgabe (oder der Kopist der dieser Ausgabe zugrundeliegenden, heute verlorenen, Stichvorlage) kann sich verschrieben haben. Aber genauso gut kann Mozart diese kleine Stelle vor der Drucklegung noch korrigiert haben.
Ich bin unsicher, was im Haupttext zu edieren ist. Mir persönlich gefällt die autographe Version besser – und ich könnte auch einen musikalisch-stilistischen Grund dafür angeben. Doch es geht ja beim Edieren nicht um Geschmacksurteile. Wahrscheinlich werde ich die Stelle im Kritischen Bericht kommentieren und/oder die jeweils alternative Lesart vielleicht sogar als „Ossia“-Fußnote bringen? Doch was meinen die Streichquartettspieler und die Mozart-Fans unter den Lesern dieses Beitrags? Welche Argumente können Sie beisteuern? Danke für Ihr Interesse.
Ein musikalisches Argument könnte für die im Autograph überlieferte Punktierung sprechen, dass sie nämlich den Auftaktcharakter zum folgenden Halbschlusstakt unterstreichen würde. Ich werde selbst diese Lesart in meinem Quartettspiel bevorzugen und erwarte mit Spannung die neue Ausgabe. Mit freundlichem Gruß
Berta Metz-Kukuk
Es ist wirklich kaum objektiv zu entscheiden. Ich finde, dass sich die (nicht lombardische) Version des Jerusalem String Quartett logischer anhört, die andere Version (Juilliard Quartett) klingt vergleichsweise etwas manieriert. Aber das ist zugegebenermaßen subjektiv…
Also. Ich muss leider sagen, dass ich weder musiktheoretisch bewandert, noch ein hervorragender Mozart-Interpret bin, ich fände es an dieser Stelle aber wirklich gerechtfertigt, beide Versionen in Ihrer Urtext-Ausgabe zu vermerken (im Sinne alternativer Spiel- bzw. Interpretationsweisen) und es somit den Interpreten zu überlassen, eine Version zu wählen.
Sie könnten natürlich auch einen Kompromiss eingehen und zwei Achtelnoten notieren … ;-)
Die Version des Autographs ist die richtige, denn
1. sie durchbricht das rhythmische Schema genau an der Stelle, wo es anfängt zu “nerven”. Zu große Ebenmäßigkeit ist eben keine Voraussetzung für Schönheit, eher das Gegenteil, sie wirkt steril. Deshalb haben sich früher Frauen “Schönheitsflecken” ins Gesicht gemalt, um interessanter zu wirken.
2. Wann ist der Komponist so richtig konzentriert bei der Sache, bei der Reinschrift einer Komposition oder beim Durchsehen des gedruckten Werks? Doch wohl bei Ersterem, insbesondere, wenn er wie Mozart kaum Skizzen gemacht hat.
Noch eine Bemerkung zum lombardischen Rhythmus: ich erkenne in vielen derartigen Stellen bei Haydn und Mozart (auch wenn mit Vorschlagsnoten notiert wurde) eine Analogie zur süddeutschen/österreichischem Mundart, nämlich die musikalische Umsetzung von zwei verschliffenen Vokalen hintereinander wie in “Pfüat’ di”.
Lieber Wolf-Dieter!
Also, wenn Du – der erste Fachmann auf diesem Gebiet – keine eindeutige wissenschaftliche Entscheidung treffen kannst, dann kann nur der jeweilige Geschmack, die Intuition, die Erfahrung eines Musikerlebens eine individuelle Entscheidung treffen.
Dieses K.V. 421 ist für mich vielleicht das aufregendste Quartett aus den “Zehn”.
Ich liebe es, der ganze “Don Juan” ist darin enthalten.
So gesehen scheint mir die Ausnahme, die Mozart bei diesem einen – nicht lombardischen – Auftakt macht, zwingend und überzeugend, weil sie dramatischer ist. Die Version von Julliard ist sozusagen “sterbens langweilig”. Die Version von Jerusalem (unsere ja auch) legitimiert sich noch dazu dadurch, dass Mozart mit diesem kleinen – scheinbar unwesentlichen – Federstrich den nachfolgenden Einsatz der Viola auf subtilste und geniale Weise “einläutet”. Er reisst den Hörer aus dem “Eingelulltwerden” heraus und sagt, pass auf, jetzt kommt was unglaubliches. Mozart hat doch selbst Bratsche gespielt, oder? Diese neue Farbe von Geige mit Bratsche ist ja so etwas von einem Geniestreich!
Ich bin sicher, dass Thomas hier einer Meinung mit wäre. :-)
Dennoch wäre es sicher gut, die lombardische Version dem Spieler als Alternative anzubieten.
der meister hat durchaus richtig notiert: die töne gis u. h sind bestandteile
des E-Septakkords, das 16tel a” eine vorausnahme des folgenden takts. vergleichbare Beispiele in der Literatur zuhauf, also bitte: so lassen, alles andere ergibt keinen sinn.
Herr Altkind, wenn man den punktierten Rhythmus hat und den lombardischen Rhythmus und dann 2 Achtel wählt, so ist das nicht ein Kompromiss, sondern Dialektik.