Ser­gej Rach­ma­ni­now (1873–1943)

In mei­nem letz­ten Blog bin ich auf die Ent­ste­hungs­ge­schich­te von Rach­ma­ni­nows 2. Kla­vier­so­na­te und ihren Ur­auf­füh­rungs­ort ein­ge­gan­gen, heute möch­te ich mich ei­ni­gen mu­si­ka­li­schen Pro­ble­men in die­sem Werk wid­men. Oder ei­gent­lich: in die­sen bei­den Wer­ken, denn be­kannt­lich liegt die So­na­te in zwei deut­lich von­ein­an­der ab­wei­chen­den Fas­sun­gen (von 1913 und 1931) vor, die beide vom Kom­po­nis­ten au­to­ri­siert und ver­öf­fent­licht wur­den.

Es soll hier nicht darum gehen, die zahl­rei­chen auf­fäl­li­gen Kür­zun­gen und klar er­sicht­li­chen Um­ar­bei­tun­gen des Kla­vier­sat­zes in der 2. Fas­sung auf­zu­zäh­len; diese wird jeder Pia­nist, der beide Fas­sun­gen nach­ein­an­der spielt, so­fort selbst be­mer­ken. Viel span­nen­der sind die Stel­len, an denen es ge­ra­de nicht klar ist, ob Rach­ma­ni­now hier wirk­lich re­vi­die­ren woll­te, oder ob nur ein Stich­feh­ler in die Neu­aus­ga­be von 1931 ge­lang­te (denn die So­na­te muss­te wegen des neuen Um­bruchs kom­plett neu ge­sto­chen wer­den, auch die Pas­sa­gen, die im Prin­zip un­ver­än­dert blie­ben). Lei­der fehlt uns zur Klä­rung die­ser Fra­gen eine sehr wich­ti­ge Quel­le: das Hand­ex­em­plar, in das Rach­ma­ni­now seine Re­vi­si­on ei­gen­hän­dig ein­trug. So ist man bis zur mög­li­chen Wie­der­ent­de­ckung die­ser Par­ti­tur auf Spe­ku­la­tio­nen und ver­glei­chen­de Über­le­gun­gen an­ge­wie­sen.

Ein Bei­spiel für einen wohl ein­deu­ti­gen Stich­feh­ler in der Erst­aus­ga­be der 2. Fas­sung fin­det sich in T. 113 im 1. Satz: Der zwei­te Ak­kord in der lin­ken Hand ist unten mit es1 no­tiert; si­cher­lich ein Ver­se­hen, wenn man sich die Par­al­lel­stel­le in T. 38 und die 1. Fas­sung (dort T. 142) an­sieht:

2. Fas­sung (Erst­aus­ga­be), 1. Satz, T. 113

2. Fas­sung (Erst­aus­ga­be), 1. Satz, T. 38

1. Fas­sung (Erst­aus­ga­be), 1. Satz, T. 142

Um­ge­kehrt ver­steckt sich aber genau an der glei­chen Stel­le ein Vor­zei­chen­feh­ler in der 1. Fas­sung, der von Rach­ma­ni­now bei der Re­vi­si­on ent­deckt und in der 2. Fas­sung be­sei­tigt wurde:

1. Fas­sung (Erst­aus­ga­be), 1. Satz, T. 141 f.

2. Fas­sung (Erst­aus­ga­be), 1. Satz, T. 112 f.

Hier hilft uns also die re­vi­dier­te Par­ti­tur nach­träg­lich, Stich­feh­ler in der 1. Fas­sung auf­zu­spü­ren. Doch die we­nigs­ten Stel­len sind so ein­deu­tig, und man muss sich sehr davor hüten, das Kind mit dem Bade aus­zu­schüt­ten und die Les­ar­ten der bei­den Fas­sun­gen mit­ein­an­der zu ver­mi­schen. So etwa im 1. Satz in T. 15–17, wo sich meh­re­re klei­ne No­ten­ab­wei­chun­gen fin­den:

1. Fas­sung, 1. Satz, T. 15-19

2. Fas­sung, 1. Satz, T. 15-19

Die Un­ter­schie­de in der 2. Fas­sung deu­ten hier auf eine be­wuss­te Re­vi­si­on Rach­ma­ni­nows hin (zumal er die Par­al­lel­stel­le T. 106–108 in iden­ti­scher Weise än­der­te). Durch die letz­te Note b1 in T. 15 wird das Auf­takt­in­ter­vall zu einer Terz, in An­glei­chung an die ana­lo­gen fol­gen­den Fi­gu­ren. Und durch die Än­de­run­gen in der lin­ken Hand er­gibt sich in den Spit­zen­tö­nen eine gleich­mä­ßi­ge Se­quenz (fal­len­de Se­kun­de – stei­gen­de Quar­te). Den­noch ist die Les­art der 1. Fas­sung da­durch nicht „falsch“ und darf kei­nes­falls rück­wir­kend ge­än­dert wer­den. Die spä­te­re Va­ri­an­te wirkt zwar lo­gi­scher, aber auch etwas lang­wei­li­ger… Ähn­lich in die­sem Fall, wo ich das ur­sprüng­li­che a span­nen­der finde als das as:

1. Fas­sung, 1. Satz, T. 41 f.

2. Fas­sung, 1. Satz, T. 41 f.

Das scheint mir eine ge­ne­rel­le Ten­denz der Rach­ma­ni­now’schen Re­vi­si­on von 1931 zu sein: Fi­gu­ren und Se­quen­zen zu „glät­ten“ und in ein Sche­ma zu brin­gen, wie auch die bei­den letz­ten Bei­spie­le aus dem Schluss­satz zei­gen:

1. Fas­sung, 2. Satz, T. 297 f.

2. Fas­sung, 2. Satz, T. 230 f.

 

1. Fas­sung, 2. Satz, T. 352

2. Fas­sung, 2. Satz, T. 283

Im Zuge un­se­rer kri­ti­schen Neue­di­ti­on (HN1256) stieß ich auf et­li­che sol­che Fälle, die mir ei­ni­ges Kopf­zer­bre­chen be­rei­te­ten. Und na­tür­lich maße ich mir nicht an, für alles die end­gül­ti­ge Lö­sung ge­fun­den zu haben, aber mit­hil­fe von Fuß­no­ten und Be­mer­kun­gen wird der Be­nut­zer un­se­rer Aus­ga­be je­weils auf die Pro­ble­ma­tik und mög­li­che Al­ter­na­ti­ven auf­merk­sam ge­macht. So wird jeder selbst ent­schei­den kön­nen, wel­che Lö­sung für ihn oder sie die mu­si­ka­lisch über­zeu­gends­te ist.

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