In der letzten Woche hatte ich das große Vergnügen, die (virtuelle) Bekanntschaft von Chi-chi Nwanoku zu machen, Kontrabassistin, Lehrerin, Gründerin der Chineke Foundation und des Chineke! Junior Orchesters, Advokatin der Multikulturalität. Wir sprachen über George Augustus Polgreen Bridgetower (1778–1860) und die sogenannte Kreutzer-Sonate op. 47, die dem aus gemischtethnischer Familie stammenden Violinisten Bridgetower ursprünglich gewidmet werden sollte. Stattdessen ging die Dedikation an den in Paris wirkenden Geiger Rodolphe Kreutzer (1766–1831), und der besondere Wert dieses Meisterwerks schrie wohl nach einem Beinamen. Kurzerhand wurde es die „Kreutzer“-Sonate und nicht zuletzt Tolstoy zementierte fast ein Jahrhundert später mit seiner Novelle gleichen Namens diese Bezeichnung. Im Gespräch mit Chi-chi philosophierten wir, was wohl in der Musikwelt geschehen wäre, wenn die Widmung doch an Bridgetower gegangen wäre …
Mir kam in diesem Zusammenhang eine grundsätzliche Frage in den Kopf. Wissen wir wirklich, warum Beethoven dieses Werk umwidmete? Was sagen die Quellen dazu?
Oder umgekehrt: Woher wissen wir eigentlich, dass die Sonate ursprünglich Bridgetower gewidmet werden sollte? Nun, das wohl wichtigste Beweisstück ist ein fragmentarisch erhaltenes Autograph der Sonate, das heute im Beethoven-Haus in Bonn aufbewahrt wird.
Rechts oben heißt es dort von der Hand Beethovens: „Sonata mulattica Composta per il Mulatto Brischdauer gran pazzo e compositore mulattico“ (Mulattische Sonate, komponiert für den Mulatten Brischdauer, großer Verrückter und mulattischer Komponist). Man muss diese Widmung durch die dreifache Wortwiederholung und die Phrase „gran pazzo“ eindeutig als freundschaftlich neckend gemeint einordnen.
Nach allem, was wir heute wissen, kam Bridgetower als reisender Virtuose im April 1803 nach Wien und wurde Beethoven durch Fürst Lichnowsky bei einem Besuch vorgestellt. Bridgetower selbst berichtete einem befreundeten Musiker und Lyriker, J.W. Thirlwall, dass er und Beethoven „constant companions“ (stete Begleiter) wurden und tatsächlich bemühte sich der Komponist auch um die weitere Einführung des Violinisten in die Wiener Adelsgesellschaft. So wissen wir von einem Empfehlungsschreiben Beethovens vom 18. Mai des Jahres, das an Baron Alexander Wetzlar von Plankenstern ging, und in dem es heißt:
„so nehme ich doch gar keinen Anstand ihnen den überbringer dieses Hr. Brischdower einen sehr geschickten und seines Instruments ganz mächtigen Virtuosen zu emphelen – er spielt neben seinen Concerten auch vortrefflich quartetten, ich wünsche sehr, daß sie ihm noch mehrere bekanntschaften verschaffen, Lobkowitz und Frieß und alle übrigen vornehmen Liebhabern hat er sich schon vortheilhaft bekannt gemacht – ich glaube, daß es gar nicht übel wäre, wenn sie ihn einen Abend zur therese schönfeld führten, wo so vie[l] ich weiß, manche fremde auch hinkommen oder bey ihnen – ich weiß, daß sie mir’s selbst danken werden, ihnen diese Bekanntschaft gemacht zu haben“ (Beethoven Briefwechsel Gesamtausgabe, Brief Nr. 137).
Bridgetower war, nach allem was wir heute wissen, derjenige, der Beethoven zur Komposition der Violinsonate veranlasste. Dies bezeugen unter anderem Aussagen der Zeitgenossen Ferdinand Ries und Carl Czerny. Die Sonate entstand wohl ganz konkret für ein von Bridgetower organisiertes Konzert im Wiener Augartensaal am 24. Mai 1803. Dort wurde sie vom Violinisten und dem Komponisten am Klavier aufgeführt. Einen kleinen Einblick in die offensichtlich in großer Herzlichkeit stattfindenden Probenarbeit verschafft uns eine Notiz Bridgetowers. Nachdem er sich im ersten Satz eine kleine virtuose Freiheit erlaubt hatte, war Beethoven angeblich begeistert: „He [Beethoven] jumped up, embraced me, saying: ‚Noch einmal, mein lieber Bursch!‘“
Warum dann aber, wenn die Freundschaft offenbar enger war, übernahm Beethoven seine Widmung aus dem Autograph nicht auch für die Originalausgabe der Sonate? Hier kann sich die Nachwelt nur auf ein einziges Indiz berufen, über das ebenfalls J. W. Thirlwall Auskunft gibt. Laut seinem Bericht äußerte sich Bridgetower: „on the first copy was a dedication to his friend Bridgetower, but, ere it was published, they had some silly quarrel about a girl, and in consequence Beethoven scratched out the name of Bridgetower and inserted that of Kreutzer” (Auf dem ersten Manuskript stand eine Widmung an seinen Freund Bridgetower, aber bevor sie [die Sonate] veröffentlicht wurde, hatten sie [Beethoven und Bridgetower] einen dummen Streit über ein Mädchen, und als Konsequenz kratzte Beethoven den Namen Bridgetowers aus und fügte den von Kreutzer ein).
Ob man dieser Geschichte glauben kann? Schon der große Beethoven-Biograph Alexander W. Thayer setzte seiner Aufzeichnung dieses Berichts ein Fragezeichen hinzu und ich kann seiner Einschätzung nur zustimmen. Auf dem heute wieder zugänglichen, oben erwähnten Autograph ist außerdem nichts ausgekratzt und schon gar nicht der Name Kreutzers eingesetzt (was allerdings auf einem heute verschollenen Autograph der Fall gewesen sein kann).
Hier ist nun auch der Punkt gekommen, an dem man fragen muss, mit welcher Motivation Beethoven Widmungen aussprach und ob wir einen anderen, plausiblen Grund finden können, warum auch Opus 47 letzten Endes eine andere Dedikation erfuhr.
Ja, Beethoven sprach Menschen, die ihm sehr nahestanden, gelegentlich Widmungen zu. In Anna Luise Barbara Gräfin von Keglevicz, deren Name das Titelblatt der Originalausgabe der Klaviersonate op. 7 ziert, soll Beethoven verliebt gewesen sein (laut Carl Czerny). Sie war seine Klavierschülerin. Antonie Brentano, der eine ganze Reihe von Werken zugeeignet werden sollten bzw. wurden, ist eine Kandidatin für die Rolle der „Unsterblichen Geliebten“. Deren Tochter, Maximiliane Brentano, durfte sich über die Dedikation der Klaviersonate op. 109 freuen. Beethoven schrieb Ihr: „Eine Dedikation!!! – nun Es ist keine, wie d.g. in Menge gemißbraucht werden – Es ist der Geist, der edle u. bessere Menschen auf diesem Erdenrund zusammenhält, u. keine Zeit den zerstören kann, dieser ist es, der jezt zu ihnen spricht, u. der Sie mir noch in ihren Kinderjahren gegenwärtig zeigt“ (Beethoven Briefe Gesamtausgabe, Brief Nr. 1449).
„keine, wie d.g. in Menge gemißbraucht werden“, diese Phrase lässt einen schmunzeln. Denn in dem, was Beethoven hier zu missbilligen scheint, war er selbst ein großer Meister: Sich Widmungen als Geld- und Einflussquelle zunutze zu machen! Die Liste der Träger von Zueignungen seiner Werke liest sich wie das Who-is-Who des europäischen Adels seiner Zeit. Zum Wiener Kongress etwa erklang die Kantate „Der glorreiche Augenblick“, deren Original-Prachtausgabe nicht weniger als drei Widmungen trägt: „Seiner Majestät Friedrich Wilhelm III. König von Preussen“, „Seiner Majestät Franz I. Kaiser von Österreich“ und „Seiner Majestät Nicolaus I. Kaiser von Russland“. Dies alles geschah natürlich mit dem Ziel, dass sich die Widmungsträger mit Geldgeschenken erkenntlich zeigen. Geldgeschenke bitte – kein Schmuck: Den Ring, den Beethoven 1826 von Friedrich Wilhelm III. von Preußen für die Zueignung der 9. Symphonie erhielt, verkaufte er umgehend.
Der Zweck heiligte die Mittel: Wenn Beethoven sich eine Widmung in diesem Sinne zunutze machen konnte, nahm er ältere Versprechungen gelegentlich auch zurück. So etwa geschehen im Fall der Violoncellosonaten op. 5. Sie waren 1796 in Berlin für den Cellisten Jean Louis Duport entstanden und – wie ein heute verschollener Brief es belegt – ihm wohl auch zugeeignet worden. Die Originalausgabe erschien mit einer Widmung an König Wilhelm II. von Preußen.
Ob es also im Fall von Bridgetower einen ähnlichen, gewichtigeren Zweck gegeben haben könnte, ihm die Dedikation zu entziehen? (Oder verstand Beethoven diese handschriftlichen Widmungen auf Manuskripten immer nur als etwas ganz Privates und fühlte sich zu nichts verpflichtet?) Warum könnte eine Widmung an Rodolphe Kreutzer Beethoven nützlicher sein? Schließlich hatte Beethoven ihn 1798, also ganze fünf Jahre früher, bei dessen Durchreise durch Wien kennengelernt und seitdem vermutlich keinen weiteren Kontakt mehr. Kreutzer lebte nun weit weg in Paris und verkehrte dort erfolgreich in Musiker- und Adelskreisen. Und hier kommen wir nun der Ursache vielleicht auf die Spur. Sieghard Brandenburg vermutet: „Wahrscheinlich erhoffte sich Beethoven mit der Dedikation an Kreutzer ein gutes Entrée für seinen geplanten Aufenthalt in Paris“ (Beethoven Briefe Gesamtausgabe, Brief Nr. 193 Anm. 5). Denn tatsächlich war Beethoven mit seiner Lage in Wien sehr unzufrieden. So schrieb Ferdinand Ries im August 1803 an Nicolaus Simrock in Bonn: „Beethoven wird nun höchstens noch 1 1/2 Jahre hierbleiben. Er geht dann nach Paris, welches mir außerordentlich leid ist.“ (Beethoven Briefe Gesamtausgabe, Brief Nr. 152)
Geschäftliches Kalkül hatte also wohl gesiegt, auch wenn Beethoven seinem Verleger Simrock gegenüber die für diesen vermutlich überraschende Widmung zu verteidigen wusste: „dieser ist ein guter lieber Mensch, der mir bey seinem hiesigen Aufenthalte sehr viel vergnügen gemacht, seine Anspruchlosigkeit und Natürlichkeit ist mir lieber als alles Exterieur ohne interieur der Meisten Virtuosen – da die Sonate für einen Tüchtigen Geiger geschrieben ist, um so passend ist die Dedication an ihn.“ Nur geschäftliches Kalkül? Man kann kaum umhin, in dieser Aussage auch einen Stich in Richtung Bridgetower zu lesen, mit dem es vielleicht also doch ein Zerwürfnis gab?
Wie dem auch sei: Bridgetower bat Beethoven um diese Sonate, er hat sie mit ihm zum ersten Mal aufgeführt und Beethoven, der Bridgetower offensichtlich zumindest zur Zeit der Entstehung sehr schätzte, hat sie ihm ursprünglich gewidmet. Wenn sich also auch der Beiname „Kreutzer“-Sonate kaum aus der Welt schaffen lassen wird, so wünscht man sich doch, dass der Name Bridgetower in der Zukunft einen prominenteren Platz in der Rezeption des Werkes einnimmt.
Interessante Geschichte, Beethoven und Bridgetower. Wenn man ein wenig mit Beethovens Kompositionen vertraut ist, kennt man die Geschichte von Bridgetower. Es ist auf fast jedem Booklet einer Schallplatte oder CD mit der Kreuzer-Sonate Opus 47 zu lesen!
Ich habe gelesen, dass im Augarten die Konzerte im Sommer draußen und morgens um 8 Uhr gegeben wurden. Gleiches gilt für das hier angesprochene Konzert.
Muss fantastisch gewesen sein, diese beiden virtuosen jungen Männer zusammen spielen zu hören und zu sehen.