Für Stefan Nilsson (+ 25. Mai 2023)

Während meiner Vorbereitungen für einen Vortrag zu den Klaviertrios von Johannes Brahms, den ich am 28. Januar 2023 in Schloss Elmau hielt (hier der komplette Mitschnitt), befasste ich mich auch erstmals intensiver mit dem Johannes Brahms unterschobenen Klaviertrio in A-dur. Das Trio ist fraglos ein musikalisch beeindruckendes Stück Musik, und es verwundert, dass dessen begabter Komponist bis heute unbekannt geblieben ist. Das Trio E.T.A., das während meines Elmauer Vortrags liebenswürdigerweise etliche Hörbeispiele live vortrug, ist fest davon überzeugt, dass es sich bei diesem viersätzigen Klaviertrio aus stilistischen Gründen nur um ein Werk des jungen Brahms handeln kann. Deshalb improvisierten wir gegen Ende meines Vortrags ein freundschaftliches Streitgespräch zu diesem „Werk ohne Autor“, währenddessen das Trio E.T.A. auch einige Ausschnitte daraus spielte (siehe Video ab: 1:03:35 ff.).

Nun werden Sie sich, liebe Leser, allmählich fragen, was das mit dem Titel meines heutigen, zugegebenermaßen etwas seichten Sommer-Blogs zu tun haben mag. Im vergangenen Sommer berichtete ich davon, wie mich ein im Radio gespieltes unbekanntes Duett von Joseph Haydn an ein anderes mir bestens bekanntes Musikstück erinnerte, ich aber nicht sofort wusste, an welches. Genau so erging es mir Anfang 2023 mit dem, ja, wunderschönen Anfang des ominösen A-dur-Trios „von Brahms“. Diese Musik hatte ich doch schon einmal, aber ganz anders, gehört. Doch nur woher? Qualvolle Wochen begannen. Zahlreiche Musikfreunde wurden kontaktiert und malträtiert: „Kennst Du nicht auch diese Melodie? Woher kommt sie?“ Fehlanzeige.

Anlässlich eines sehr traurigen privaten Ereignisses schoss mir dann kurz später die Melodie unverhofft „ins Ohr“. Sie stammt vom schwedischen Filmkomponisten Stefan Nilsson und heißt „Gabriellas sång“. Dieses Lied steht im musikalischen Zentrum des wirklich sehenswerten, wenn auch arg sentimentalen Films „Wie im Himmel“ von Kay Pollak (Original: „Så som i Himmelen“). Es geht dabei letztlich um die seelenheilende Kraft von Musik. Ich hatte meine Tochter mit just diesem Lied einmal anlässlich einer Taufe begleitet. Daher also „kannte“ ich es. Wie zu Beginn des A-dur-Trios kommt die Filmmusik aus der Tiefe und schwingt sich dann bewegend über pochend ostinatem Bass auf:

(Hier der originale Filmausschnitt.)

Die Ähnlichkeit von Melodik und Diktion des Filmsongs zum unmittelbaren Anfang des A-dur Trios „von Brahms“ ist derart frappant, dass für mich kaum ein Zweifel daran bestehen kann, dass Stefan Nilsson zumindest unbewusst den Beginn des Trios beim Komponieren im Ohr hatte.

Stimmen Sie mir zu? Von Brahms ist die Vorlage zu „Gabriellas sång“ freilich nur dann, wenn das Klaviertrio in A-dur tatsächlich von ihm stammen sollte. Zusammen mit der aktuellen Brahms-Forschung halte ich das, auch aus musikalischen Gründen, für nahezu ausgeschlossen. Doch das letzte Wort dazu ist freilich erst dann gesprochen, wenn der wahre Komponist gefunden wurde. Der Band zu den Klaviertrios von Brahms im Rahmen der historisch-kritischen Gesamtausgabe (Serie II, Band 6) ist derzeit in Vorbereitung. Wie ich aus Kiel höre, wird das A-dur Trio darin – mit ausführlicher Begründung – nicht aufgenommen werden. Hören Sie sich doch einmal das ganze Trio in Ruhe und ohne Vorbehalte an. Rein philologisch ist das Urheberproblem aufgrund der extrem dünnen Quellenbasis nicht lösbar. Was meinen Sie: Könnte der junge Brahms aus stilistischen Gründen nicht vielleicht doch der Autor sein?

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Eine Antwort auf »„Gabriella‘s sång“ von Brahms?«

  1. Wolfgang Merkes sagt:

    Ich habe mir das Stück angehört (kannte es bisher nicht). Es hat nicht die musikalische “Handschrift” des reifen Brahms. Aber es spräche m.E. stilistisch nichts gegen die Annahme des jungen Brahms als Autor.

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