In mei­nem letz­ten Blog­bei­trag be­rich­te­te ich von mei­ner ak­tu­el­len, span­nen­den Edi­ti­ons­ar­beit an den Streich­quar­tet­ten Mo­zarts. Es ging um eine klei­ne, aber doch hör­ba­re Rich­tig­stel­lung eines „mfp“ im Cel­lo­so­lo des lang­sa­men Sat­zes des zwei­ten „Preu­ßi­schen“ Streich­quar­tetts KV 589. Alle Aus­ga­ben geben diese Stel­le mei­nes Er­ach­tens falsch wie­der. Mein heu­ti­ger kur­zer Bei­trag stellt eine Stei­ge­rung dazu dar: Es geht um den Be­ginn der Durch­füh­rung des Kopf­sat­zes aus dem so­ge­nann­ten „Hoff­meis­ter“-Quar­tett KV 499. Diese Stel­le macht noch viel kras­ser klar, warum Mo­zarts Streich­quar­tet­te bis heute nicht in der best­mög­li­chen No­ten­aus­ga­be vor­lie­gen.

Es gibt kein Streich­quar­tett-En­sem­ble, das an die­ser groß­ar­ti­gen Stel­le nicht forte oder gar eine zu for­tis­si­mo ge­stei­ger­te Dy­na­mik spielt; der Kon­trast zur un­mit­tel­bar vor­aus­ge­hen­den, wun­der­ba­ren pia­nis­si­mo-Stel­le könn­te nicht grö­ßer sein, wie man bei­spiel­haft an der Auf­nah­me des Ha­gen-Quar­tetts hören kann:

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W. A. Mo­zart, KV 499, Be­ginn der Durch­füh­rung

Mu­si­kern bleibt ja gar nichts an­de­res übrig, als hier „forte“ zu spie­len, denn so steht es in der Bä­ren­rei­ter-Aus­ga­be und in der alten Pe­ters-Aus­ga­be (und in den Druck­aus­ga­ben des spä­te­ren 19. Jahr­hun­derts). Aber: das forte ist falsch, je­den­falls stammt es kei­nes­falls von Mo­zart. Der Her­aus­ge­ber der Neuen Mo­zart-Aus­ga­be (= Bä­ren­rei­ter-Ur­text) stellt zwar in sei­nem „Kri­ti­schen Be­richt“ zu Recht fest, das im Au­to­graph er­kenn­ba­re for­te-„f“ sei nach­träg­lich mit einem Rö­tel­stift ge­schrie­ben wor­den; doch dann folgt der Fehl­schluss: „Sehr wahr­schein­lich au­to­graph“. Wer Mo­zarts Hand­schrift ein wenig kennt, wird über diese Fehl­ein­schät­zung nur den Kopf schüt­teln. Die ent­spre­chen­de au­to­gra­phe Seite zeigt ein­deu­tig eine frem­de Hand, die (oben im 3. Takt der ab­ge­bil­de­ten Seite) zwi­schen die Sys­te­me 2x ein groß ge­schwun­ge­nes „f“ er­gänzt, und dann in der Ak­ko­la­de dar­un­ter (Takt 114/115) ein in­zwi­schen stark ver­blass­tes pia­no-„p“ (auch die­ses hält der Her­aus­ge­ber irr­tüm­lich für „sehr wahr­schein­lich au­to­graph“ und druckt es un­ge­kenn­zeich­net ab). In der Erst­aus­ga­be von Anton Hoff­meis­ter (Wien, 1786) fin­det sich an den be­sag­ten Stel­le(n) kei­ner­lei Dy­na­mik – wie denn auch? Der aus dem Au­to­graph Stim­men her­aus­schrei­ben­de Ko­pist hatte an die­ser Stel­le einen Text ohne Dy­na­mik vor sich.

Ab­ge­se­hen davon, dass es sich oh­ne­hin nicht um Mo­zarts Hand han­delt, wäre zu fra­gen, was ihn über­haupt hätte ver­an­las­sen kön­nen, an die­sen Stel­len eine so gra­vie­ren­de Er­gän­zung der Dy­na­mik nach­zu­tra­gen. Doch nur wäh­rend des Kom­po­si­ti­ons- und Nie­der­schrift­pro­zes­ses, bevor ein Ko­pist die Stim­men aus­schrieb und bevor der Ste­cher den No­ten­satz vor­nahm. Denn wenn eine Text­stel­le erst ein­mal falsch oder de­fi­zi­tär (also z.B. ohne Dy­na­mik) in einer Druck­aus­ga­be in der Welt war, konn­te eine nach­träg­li­che Kor­rek­tur im Au­to­graph daran doch gar nichts mehr än­dern. (Oft genug kann man des­halb in Mo­zart-Au­to­gra­phen er­ken­nen, dass er tat­säch­lich dy­na­mi­sche Zei­chen in einem zwei­ten Durch­gang er­gänz­te, dies aber immer mit Tinte und Feder, bevor er die Par­ti­tur an einen Ko­pis­ten zur Aus­schrift wei­ter­gab.).

Die be­sag­ten, im Au­to­graph Mo­zarts nach­ge­tra­ge­nen „f“ und „p“ in KV 499/1, Takt 101 und 114, ma­chen also gar kei­nen Sinn. Wes­halb ste­hen sie dann aber drin? Ich bin der Sache gründ­lich nach­ge­gan­gen und kann Fol­gen­des be­rich­ten:

Con­stan­ze Mo­zart (1762-1842)

Die „f“ und „p“ tau­chen erst­mals in der Druck­über­lie­fe­rung im al­ler­ers­ten Nach­druck der Erst­aus­ga­be im Jahr 1793 bei Hum­mel auf (Ams­ter­dam, Ber­lin; Plat­ten­num­mer PN 902). Und zwar nur in der Stim­me der ers­ten Vio­li­ne. Of­fen­bar hatte Hum­mel oder ein für ihn ar­bei­ten­der Mu­si­ker das drin­gen­de Be­dürf­nis, die ihm feh­len­de Dy­na­mik zu er­gän­zen (oder seine Vor­la­ge, die Erst­aus­ga­be von Hoff­meis­ter, hatte eine ent­spre­chen­de Ein­tra­gung eines Mu­si­kers, die für bare Münze ge­hal­ten wurde). Und his­to­risch in­ter­es­sant ist ja dabei durch­aus, dass zu Durch­füh­rungs­be­ginn dafür of­fen­bar nur die Kon­trast­dy­na­mik forte in Frage kam. Die mu­si­ka­lisch mei­ner Mei­nung nach viel de­li­ka­te­re und wir­kungs­vol­le­re Fort­set­zung im piano oder gar pia­nis­si­mo kam Hum­mel nicht in den Sinn. Ein Jahr spä­ter, 1794, druck­te erst­mals der Of­fen­ba­cher Ver­lag André (PN 667) das „Hoff­meis­ter“-Quar­tett nach, und zwar ein­deu­tig nach der Vor­la­ge Hum­mels. Die fal­sche Dy­na­mik fin­det sich auch hier nur in der ers­ten Vio­li­ne. Als dann André von Con­stan­ze Mo­zart 1799/1800 den au­to­gra­phen Nach­lass Mo­zarts er­warb, ver­öf­fent­lich­te er so­gleich eine neue Druck­aus­ga­be (Neustich) der Mo­zart-Quar­tet­te, auch des „Hoff­meis­ter“-Quar­tetts (Of­fen­bach, 1800; PN 1444). Hier­in fin­det sich die fal­sche Dy­na­mik – nun erst­mals in allen Stim­men:

 

Druck von André, Plat­ten­num­mer 1444, Vio­li­ne I, S. 8

 

Das alles er­klärt aber immer noch nicht, wie diese Dy­na­mik in Mo­zarts Au­to­graph kam. Die Be­grün­dung liegt mei­nes Er­ach­tens auf der Hand: André oder ein für ihn die neue Druck­aus­ga­be vor­be­rei­ten­der Mu­si­ker, ver­glich die wert­vol­le Hand­schrift, die nun in sei­nem Be­sitz war, mit sei­ner ur­sprüng­li­chen Druck­aus­ga­be von 1794. Am Be­ginn der Durch­füh­rung von KV 499/1 fie­len ihm die ver­meint­lich „feh­len­den“ for­te-„f“ und pia­no-„p“ auf und so trug er sie rasch von Hand im Au­to­graph nach. Auf diese Weise ge­lang­ten diese nicht au­to­ri­sier­ten Zei­chen dann in sei­nen Neu­druck. Die­ser wurde wie­der­um von vie­len Ver­la­gen – bis heute – nach­ge­druckt, denn André brüs­te­te sich auf der Ti­tel­sei­te mit dem Be­sitz des Au­to­graphs und damit der un­zwei­fel­haf­ten Kor­rekt­heit sei­ner Aus­ga­be: „Edi­ti­on faite d‘après le ma­nu­scrit ori­gi­nal de l’au­teur.“

Diese und wahr­schein­lich eine wei­te­re frem­de Hand aus der Werk­statt Andrés hin­ter­lie­ßen üb­ri­gens auch in an­de­ren Streich­quar­tett-Au­to­gra­phen Mo­zarts ihre Spu­ren. Und zwar geht es dabei immer um nach­ge­tra­ge­ne dy­na­mi­sche Zei­chen (KV 428, 464 und 465 – wen die ge­nau­en Stel­len in­ter­es­sie­ren, möge mir eine E-Mail schrei­ben).

Fazit für den Streich­quar­tett-Spie­ler: Zu Be­ginn der Durch­füh­rung im ers­ten Satz des „Hoff­meis­ter“-Quar­tetts KV 499 sind Sie frei zu ent­schei­den, wel­che Dy­na­mik Sie wäh­len. Ent­we­der Sie ver­trau­en dar­auf, dass Mo­zart, weil er keine Dy­na­mik vor­schreibt, eine Fort­set­zung des Pia­nis­si­mo meint (das ist meine per­sön­li­che An­sicht). Oder Sie pro­bie­ren eine ei­ge­ne, Ihnen ge­eig­ne­te Dy­na­mik aus, denn das in allen Aus­ga­ben zu fin­den­de, nicht au­then­ti­sche „forte“, wie auch das bald dar­auf ein­tre­ten­de „piano“ sind nur eine von vie­len Mög­lich­kei­ten. (Oft genug wird üb­ri­gens bei „forte“-Spiel in Takt 101 die wich­tigs­te Stim­me die­ser Stel­le, näm­lich das Cello, kom­plett über­deckt – man höre nur oben an­ge­ge­be­ne Auf­nah­me.) Die erste tat­säch­lich von Mo­zart stam­men­de Dy­na­mik fin­det sich dann erst wie­der in Takt 126 („cre­scen­do“). Noch ein Ar­gu­ment für Fort­set­zung des „pia­nis­si­mo“ zu Durch­füh­rungs­be­ginn, ab­ge­se­hen von des­sen wun­der­ba­rer klang­li­cher Wir­kung: Zu Be­ginn der Coda (T. 243 ff.) liegt die­sel­be mu­si­ka­li­sche Si­tua­ti­on vor, wie zu Be­ginn der Durch­füh­rung. Und wie­der schreibt Mo­zart (und so auch die Erst­aus­ga­be) vor dem Wie­der­ho­lungs­zei­chen „pp“, da­nach kei­ner­lei Dy­na­mik. Daran hat auch nicht das frühe 19. Jahr­hun­dert ge­deu­telt, wes­halb auch die Neue Mo­zart­aus­ga­be (= Bä­ren­rei­ter-Ur­text) an die­ser Stel­le rich­tig ist, wes­halb wie­der­um alle Quar­tet­te hier zu Recht den Satz in wun­der­vol­lem Pia­nis­si­mo be­en­den:

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W.A. Mo­zart, KV 499, Ende 1. Satz

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2 Antworten auf »Zu einer furchtbar falschen Dynamik im Kopfsatz aus KV 499«

  1. Weller sagt:

    Die Punktierung der Streicher verbindet Mozart mit einem Flüstern.
    Das wird auch bei der Wiederholung am Ende des Satzes deutlich.
    Abermals wird das pianissimo fortgesetzt, ohne von Mozart extra geschrieben
    zu werden. Sehr gut erkannt vom Autor.

  2. Adept sagt:

    Wer Ohren hat zu hören…
    Sie haben ja so recht.
    Ich habe leider vergessen, welcher Zeitgenosse Mozarts es war, der sagte, er habe nie mehr einen Musiker gehört, der so fein das Klavierspiel betrieben habe…

    Die erhabene und filigrane Meisterschaft ist leider den Grobianen zum Opfer gefallen.

    Den emotionalen Tastenklempnern ist der Geist geopfert worden.

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