Ver­mut­lich ken­nen Sie Mo­zarts A-dur-Kla­vier­so­na­te KV 331 (mit dem „alla turca“-Ron­do). Eine der be­kann­tes­ten So­na­ten des ge­sam­ten Kla­vier­re­per­toires, wenn nicht gar die be­kann­tes­te. Und doch ist es die bit­te­re Wahr­heit, dass wir alle diese be­rühm­te So­na­te bis heute falsch spie­len, je­den­falls nicht so, wie es Mo­zart woll­te. Warum? Bis heute gibt es keine ein­zi­ge feh­ler­freie No­ten­aus­ga­be die­ses be­rühm­ten Stücks. Das 19. Jahr­hun­dert hatte die So­na­te fast bis zur Un­kennt­lich­keit ent­stellt; Ur­text­aus­ga­ben des 20. Jahr­hun­derts (auch un­se­re bis­he­ri­ge) muss­ten im We­sent­li­chen die Erst­aus­ga­be („Opus 6“ im Ver­lag Ar­ta­ria, Wien 1784) als beste ver­füg­ba­re Text­grund­la­ge her­an­zie­hen, weil Mo­zarts Au­to­graph (bis auf die Schluss­sei­te des „alla turca“) ver­lo­ren war.

„War“ – denn nun kommt die Sen­sa­ti­on: Im Sep­tem­ber 2014 ent­deck­te Balázs Mi­ku­si, Lei­ter der Mu­sik­ab­tei­lung in der Széchényi-Na­tio­nal­bi­blio­thek in Bu­da­pest, ein bis­her völ­lig un­be­kann­tes, voll­stän­dig von Mo­zarts Hand be­schrie­be­nes Dop­pel­blatt der be­rühm­ten A-dur-So­na­te. Es ent­hält we­sent­li­che Teile des Werks (Satz 1 ab der 3. Va­ria­ti­on, T. 55 ff., bis ein­schließ­lich T. 10 des Trios). Ei­ni­ge von Ihnen wer­den viel­leicht die Be­richt­er­stat­tung zu die­sem Sen­sa­ti­ons­fund mit­ver­folgt haben.

Ich konn­te die­ses Mo­zart-Au­to­graph ein­se­hen, in­ten­siv stu­die­ren und Text­ver­glei­che an­stel­len – dank der Groß­zü­gig­keit von Herrn Mi­ku­si und sei­ner Bi­blio­thek. Des­halb wird ab An­fang Juni 2015 eine kom­plett re­vi­dier­te Ur­text­aus­ga­be der A-dur-So­na­te Mo­zarts im Henle Ur­text lie­fer­bar sein. Erst­mals liegt dann für we­sent­li­che Teile der So­na­te ein ge­si­cher­ter No­ten­text vor. Und die Mu­sik­welt wird stau­nen: Denn et­li­che Noten muss­ten kor­ri­giert, zahl­lo­se De­tails zu­recht­ge­rückt wer­den. Zum an­de­ren konn­ten ei­ni­ge der immer schon als „pro­ble­ma­tisch“ gel­ten­den Text­stel­len der Erst­aus­ga­be durch das neu auf­ge­fun­de­ne Au­to­graph als tat­säch­lich von Mo­zart be­ab­sich­tigt be­stä­tigt wer­den.

Es sprengt frei­lich den Rah­men die­ses Blog-Bei­trags, ins De­tail zu gehen. Vor we­ni­gen Tagen nah­men wir im Ver­lag ein Vi­deo-In­ter­view mit Herrn Pro­fes­sor Bell­heim (künst­le­ri­scher Be­ra­ter und Fing­er­set­zer der neuen Ur­text-Aus­ga­be) und mir (Her­aus­ge­ber) auf. Es wird sehr bald auf un­se­rem YouTube-Ka­nal zu sehen sein. Aber we­nigs­tens zwei wahl­los her­aus­ge­grif­fe­ne Stel­len seien hier im Blog er­wähnt – um Ihnen ein wenig den „Mund wäss­rig“ zu ma­chen:

1. Satz, Va­ria­ti­on VI, Al­le­gro, Takt 116, letz­te Note linke Hand: In allen mo­der­nen Aus­ga­ben steht hier ein fal­scher A-dur-Ak­kord in tie­fer Lage. Gemäß Au­to­graph ist Ein­zel­no­te A1 kor­rekt:

KV 331, 1. Satz, T 114-116 (bis­he­ri­ger Text aus HN 50)

KV 331, 1. Satz, T. 115-116 (au­to­gra­pher Aus­schnitt; Ach­tung: rech­te Hand im So­pran-Schlüs­sel no­tiert!)

KV 331, 1. Satz, T. 114-116 (neuer Text aus HN 1300)

 

2. Satz, Me­nu­et­to, Takt 3, letz­te Note rech­te Hand: In allen mo­der­nen Aus­ga­ben steht hier eine fal­sche Vier­tel­no­te cis3 (so auch in der Wie­der­ho­lung in T. 33). Gemäß Au­to­graph muss es a2 (und Ganz­takt­bo­gen) hei­ßen:

KV 331, 2. Satz, T. 1-4 (bis­he­ri­ger Text aus HN 50)

KV 331, 2. Satz, T. 1-4 (au­to­gra­pher Aus­schnitt)

KV 331, 2. Satz, T. 1-4 (neuer Text aus HN 1300)

Freu­en Sie sich auf die neue Ur­text­aus­ga­be. Also, wie ge­sagt: Ab An­fang Juni 2015 im Han­del (Und wer es ganz genau wis­sen will, fin­det auf der Hen­le-Web­site eine um­fas­sen­de Aus­ein­an­der­set­zung mit dem „neuen“ Au­to­graph und an­de­ren Pri­mär­quel­len zu KV 331).

Wie po­pu­lär ins­be­son­de­re der ‘Tür­ki­sche Marsch’ der So­na­te wirk­lich ist, zei­gen Alek­sey Igu­des­man und Hyung-ki Joo.

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3 Antworten auf »Die Musikwelt wird staunen. Zur neuen Urtextausgabe von Mozarts Klaviersonate A-dur KV 331«

  1. Ich habe eine sehr wichtige Frage, auf die Sie mir hoffentlich antworten werden.

    Wie schnell, also mit welcher Metronom Nummer soll ich den 3. Satzt, also das Alla Turca spielen?

    Bitte um Rückmeldung!

    Hochachtungsvoll
    Andreas Summerer

    • Wolf-Dieter Seiffert sagt:

      Hallo Herr Summerer,
      haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage nach dem „richtigen“ Tempo des “alla turca” der Mozartschen A-dur-Sonate. Ich fürchte, da sind Sie bei uns an der falschen Adresse. Denn wir als Urtext-Verlag kümmern uns um den „korrekten“ Notentext, nicht um aufführungspraktische Fragen. Und da uns Mozart bekanntlich keine Metronom-Angaben liefert, sind wir, sind Sie, auf seine Tempoangaben (im Verhältnis zu den Notenwerten) angewiesen.
      Ein sehr lesenswertes Buch ist die Monografie von Siegbert Rampe, Mozarts Claviermusik https://www.baerenreiter.com/shop/produkt/details/BVK1180/ .
      Die Sonate KV 331 weist ja eine ungewöhnliche Satzfolge auf (Thema & Variationen; Menuett/Trio; Rondo). Also nicht das „übliche“: rasch – langsam – rasch der 3-sätzigen Sonaten der Zeit, wie zB die beiden umrahmenden Schwesterwerke KV 330 und 332. Ich lese daraus, dass wir auch bei den Tempoangaben Mozarts Vorgaben vertrauen sollten.
      Im “Alla turca” finden wir Mozarts sehr ungewöhnliche, ja unikate Tempoangabe: „Allegrino“. Zur Erinnerung: ein wesentlicher Teil des Mozartschen Autographs von KV 331 ist vor einigen Jahren aufgetaucht, leider nicht die Teile mit dem „alla turca“. Doch die Erstausgabe von 1784 und eine wenig bekannte Abschrift der Mozart-Zeit, entstanden VOR der Erstausgabe (bald erscheint hierzu ein Aufsatz von mir), haben das merkwürdige „Allegrino“. Also ein „kleines“ Allegro, also kein wirklich rasches Tempo, wieder ein bisschen gemächlicher als üblich. Wie also m.E. alle drei Sätze gemütlicher zu spielen sind, als gemeinhin eine Sonate aus der Mozart-Zeit (siehe auch die ungewöhnliche Satzfolge). Der Satz wird also üblicherweise viel zu schnell gespielt, gehudelt, verhunzt (zB Lang Lang). Und wenn ich mir die intendierte Janitscharenkapelle mit allem Tsching und Tschang so vorstelle, dann ist das nicht gehetzt, sondern stolz und wie aufrecht reitend gemeint (im C-dur-Teil, zB T 8 ff., höre ich gar die österreichische Kavallerie entgegenreiten). Nehmen Sie die naheliegende Parallele aus dem Chor der Janitscharen aus der „Entführung“; das empfinde ich als „richtiges“ Tempo: https://www.youtube.com/watch?v=uA2WYzlZJME . Ich finde daher auch das angeschlagene Tempo des Pianisten Markus Bellheim anlässlich meines Interviews mit ihm goldrichtig: https://www.youtube.com/watch?v=Qes0q9IV57c (ab 7:25 ff.).
      Wie gesagt: das Vorausgehende ist bloße subjektive Meinung eines amateurhaft klavierspielenden Philologen, mit der Sie hoffentlich dennoch etwas anfangen können?
      Herzliche Grüße, Ihr Wolf-Dieter Seiffert

      • Kirmeier Konrad sagt:

        Lieber Herr Doktor Seiffert!

        Das Tempo ist das schwierigste hat selbst Mozart in irgendeinem Brief geschrieben.

        Der gute Lang Lang hat sich dessen mittlerweile auch besonnen.
        Seine Aufnahme von einem mindestens ebenso berühmten Klavierwerkes hat er zumindest vor nicht allzu langer Zeit sehr schön eingespielt, das „für Elise“ von Beethoven.
        Vielleicht macht er selbiges ja auch für die Sonate in A Dur?
        Anscheinend hat er über das Tempo Erkenntnisse gewonnen, oder ist er, wie er selbst sagt, wie Wein gereift?

        Freundliche Grüße
        Konrad Kirmeier

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