Musik für Klavier zu vier Händen bringen wir heutzutage unwillkürlich mit dem 19. Jahrhundert in Verbindung. Es handelt sich um die Hausmusik-Gattung schlechthin. Klavierspielen konnten in der biedermeierlichen Welt viele, und zu vier Händen lässt sich mit wenig Aufwand – will sagen mit bescheidenem technischen Können – doch recht klangvoll musizieren. Gerade im Klavierunterricht wird daher das Vierhändigspiel noch immer gern und viel praktiziert. Meist spielt der Lehrer den Secondo-Part (und sorgt damit für eine orchestrale Grundierung), während der Schüler den leichter zu bewältigenden, Melodie tragenden Primo-Part beisteuert (man denke nur an die Werke des unvermeidlichen Anton Diabelli). Erfolgserlebnis garantiert! Und damit das Ganze noch besser klingt, tritt der Lehrer beim Musizieren das rechte Pedal.
Vierhändige Klaviermusik entwickelt sich im 19. Jahrhundert jedoch rasant – und zunehmend weg vom Image der Schülerliteratur. Besonders beliebt sind Arrangements von Orchestermusik, die sich auf diesem Weg daheim am Klavier gut reproduzieren ließ. Aber auch immer mehr „echte“ Werke für diese Besetzung entstehen, die an Tiefe der Musik für Klavier zu zwei Händen in nichts nachstehen. Schon Mozart (HN 932) steuerte große Kompositionen dazu bei, und Schubert (HN 94, 96, 98) stellt zweifellos den ersten Höhepunkt in der Entwicklung vierhändiger Klaviermusik dar. Große und virtuose Konzertliteratur entstand, so etwa Bizets Jeux d’enfants oder Brahms‘ Ungarische Tänze, bei der sich kein Primo mehr hinter einem Secondo verstecken kann.
Was sich in der allgemeinen Praxis jedoch hielt, war der Usus, das Pedaltreten dem Secondo zu überlassen. Warum eigentlich?
Möglicherweise ist es ein Überbleibsel aus der Schüler/Lehrer-Situation, möglicherweise aber auch der Tatsache geschuldet, dass für gewöhnlich im Secondo-Part die harmonische Entwicklung der Musik besser nachzuvollziehen ist. Möglicherweise gibt es aber auch rein „körperliche“ Gründe: Für den Primo-Spieler, der beim Vierhändigspiel relativ weit rechts sitzt, ist das Halte-Pedal schlicht zu weit weg vom rechten Fuß (zugegeben: er könnte auch links treten).
In Antonín Dvořáks Slawischen Tänzen op. 72 ist die klassische Arbeitsteilung jedenfalls durch die Quellen belegt. Im Autograph gibt der Komponist die Pedalbezeichnung unter dem Bass-System des Secondo-Parts an (siehe folgende Abbildung. Man beachte die Partiturschreibweise, d.h. Primo und Secondo sind übereinander und nicht getrennt nach Stimmen notiert).
Die Erstausgabe (nun in Stimmen) übernimmt dies und druckt die Pedalbezeichnung nur im Secondo-Part, nicht aber in der Primo-Stimme. Wer hier treten soll, ist klar.
Georges Bizet machte sich da mehr Mühe: Er notierte im Autograph der Jeux d’enfants die Pedalbezeichnung doppelt, d.h. sowohl für den Primo- als auch für den Secondo-Part.
Diese Dopplung wurde in den Druck übernommen, wo beide Stimmen durchgängig Pedalanweisungen enthalten. Sinnvoll, meine ich, denn warum soll nicht auch der Primo die Möglichkeit haben, den Pedaleinsatz zu übernehmen?
Ähnliche Überlegungen müssen auch bei der Druckvorbereitung zu Dvořáks Legenden op. 59 (erscheint demnächst) stattgefunden haben. Im Partitur-Autograph notiert der Komponist – genau wie bei den Slawischen Tänzen – Pedalangaben unter der Secondo-Akkolade.
Abweichend davon finden sich in der Erstausgabe überraschenderweise Pedalbezeichnungen sowohl in der Secondo- als auch in der Primo-Stimme.
Komponist oder Verleger müssen also die Entscheidung getroffen haben, auch dem Primo-Spieler das Pedaltreten zu ermöglichen.
Daraus ergibt sich jedoch ein Problem: Was passiert, wenn eine der beiden Stimmen pausiert? Die Erstausgabe ist da recht rigoros und setzt Pedalzeichen stets nur zu tatsächlich zu spielenden Noten. Die unglückliche Konsequenz daraus ist, dass die Pedalbezeichnung an einigen Stellen zwischen Primo und Secondo abweicht.
Was tun? Strikt der Quelle folgen? Ich meine, eine gute Edition muss hier eine Lösung vorschlagen und in die Hauptquelle (= Erstausgabe) eingreifen. Unser Herausgeber hat genau das getan und die Pedalbezeichnung „normalisiert“, d. h. zwischen Secondo und Primo Deckungsgleichheit angestrebt. Ein vielleicht irritierender Effekt: Hin- und wieder stehen nun Pedalzeichen in Pausentakten.
Aber ist das nicht diejenige Lösung, die der Spielpraxis am meisten entgegenkommt?
Lieber Herr Müllemann,
ich könnte mir vorstellen, dass der Abdruck der Pedalanweisungen sowohl in der Secondo- als auch in der Primostimme einen ganz praktischen Grund hat: einfacheres Üben. Möchte man als Primo seine Stimme alleine üben, so ist es doch ungelenk wenn man ständig nach links schielen muss. Notiert man Primo und Secondo allerdings übereinander, so wie Dvorak dies getan hat, ist eine doppelte Ausführung der Pedalzeichen vermutlich nicht notwendig, da einfacher einsehbar und besser mit der eigenen Stimme zu koordinieren.
Beste Grüße von
der Lektoratsassistentin Alexandra Marx
Lieber Herr Müllemann,
Ihren schönen Beitrag und die hilfreiche Bemerkung von Frau Marx möchte ich noch ein wenig erweitern:
1. Auch bei Schumann und Brahms finde ich in Manuskript- und Druckquellen vierhändiger Werke bzw. Arrangements die Doppelangabe für Primo und Secondo.
2. Ich könnte mir vorstellen, dass die Pedalzeichen für den Primo – sofern er nicht bei Solopassagen (also ohne Secondo) doch mal selbst tritt, was ja durchaus sinnvoll sein kann – eine wichtige Information ist: Oft habe ich als Primo-Spieler bei Secondo-Partnern, die nicht sensibel treten, den Eindruck, bei gewünschtem Legatospiel (gerade in akkordischen Folgen) nicht genügend vom Pedal unterstützt zu werden, d. h. klanglich zu “verhungern”. Wenn ich nun in den Noten sehe, dass Ped. gefordert ist und später durch * wieder aufgehoben wird, kann ich beim Spielen entweder das Pedal in den betreffenden Passagen einfordern bzw. mir sicher sein, dass ich hier zusätzlich zum Fingerlegato auch “authentische” Pedalunterstützung bekomme. Das empfinde ich als Spieler durchaus als hilfreich.
Herzliche Grüße Ihr
Michael Struck (Johannes Brahms Gesamtausgabe, Musikwissenschaftliches Institut der Universität Kiel)
Lieber Herr Struck und liebe Frau Marx,
besten Dank für Ihre beiden Kommentare. All diese Überlegungen finde ich sehr einleuchtend und hilfreich. Es zeigt sich, dass es nicht nur sinnvoll sondern sogar geboten ist, die Pedal-Dopplung der Quellen in eine Urtextausgabe zu übernehmen.
Herzliche Grüße,
Ihr
Norbert Müllemann
Sehr geehrter Herr Müllemann,
wir haben beim Dvorak-Spielen und (weil es vorwiegend sehr zarte Musik ist) insbesondere bei den “Legenden” auch genau die von Ihnen gestellten Fragen diskutiert. Ein gutes Beispiel ist der vorletzte Takt im letzten Stück, wo der secondo-Spieler ganz genau das Ende der Triolen im primo-Part abpassen muss, wir haben uns im secondo-Part den primo-Rhythmus mit Bleistift reingeschrieben (das können Sie natürlich nicht machen). Letztlich gehört so etwas in die gute Vorbereitung auf eine Aufführung, man muss am Pedal beide Parts sehr gut kennen.
Dann gibt es noch solche Fälle wie Takt 79 im 7. Stück, wo im primo-Part eine Pedalisierung notiert ist, das aber im secondo-Part nicht erscheint (jedenfalls in unserer Bärenreiter-Ausgabe nicht). An dieser Stelle haben wir uns (aus musikalischen Gründen) für eine sehr leichte Pedalisierung entschieden, in Takt 80 kommt dann deutlich mehr.
Und dann gibt es noch den Fall längerer Passagen ganz ohne Pedalisierung (z.B. Nr. 7 zu großen Teilen, Anfang von Nr. 8), wo wir abhängig vom jeweiligen Flügel und Raum ggf. etwas pedalisieren, aber immer unter Wahrung der in der Partitur angestrebten Klarheit.
Wir wünschen viel Freude mit der Herausgabe der “Legenden”, das ist eine wunderbare Musik.
Martin Kückes und Jürgen Lindner