Re­gel­mä­ßi­ge Hen­le-Blog-Le­ser wer­den sich er­in­nern: Mein letz­ter Bei­trag be­han­del­te den sen­sa­tio­nel­len Bu­da­pes­ter Fund des au­to­gra­phen Dop­pel­blatts der be­rühm­ten A-dur-Kla­vier­so­na­te KV 331 Mo­zarts sowie die An­kün­di­gung mei­ner in­zwi­schen er­schie­ne­nen neuen Ur­text-Aus­ga­be dazu. Der fol­gen­de Bei­trag be­han­delt noch­mals diese So­na­te, vor­nehm­lich das „alla turca“-Ron­do, ge­wis­ser­ma­ßen als ein Ab­fall­pro­dukt mei­ner in­ten­si­ven Be­schäf­ti­gung mit ihrer au­to­gra­phen Über­lie­fe­rung.

Merk­wür­di­ge (?) Wie­der­ho­lungs­an­wei­sun­gen im „alla turca“-Teil­au­to­graph in Salz­burg

Außer dem er­wähn­ten, neu auf­ge­fun­de­nen Bu­da­pes­ter Dop­pel­blatt hat sich nur eine ein­zi­ge Seite mit Mo­zarts Hand­schrift zu die­ser So­na­te er­hal­ten – das Blatt be­fin­det sich im Be­sitz der In­ter­na­tio­na­len Stif­tung Mo­zar­te­um in Salz­burg (Si­gna­tur „KV 300i“):

© In­ter­na­tio­na­le Stif­tung Mo­zar­te­um (ISM), Bi­blio­the­ca Mo­zar­tia­na, Si­gna­tur: KV 300i

Etwa in der Mitte oben, un­ter­halb des gut er­kenn­ba­ren Wor­tes „Coda.“ fin­den sich meh­re­re von Mo­zart no­tier­te Wie­der­ho­lungs­an­wei­sun­gen, die wohl an einen Ko­pis­ten ge­rich­tet sind, der die­sen of­fen­sicht­lich ab­ge­kürzt no­tier­ten Ron­do­satz voll­stän­dig ab- und aus­schrei­ben soll­te:

1. ein links­sei­ti­ges Wie­der­ho­lungs­zei­chen (mit 1ma– und 2da-vol­ta) – in der Ab­bil­dung für Sie blau mar­kiert

2. je­weils da­ne­ben ein dal-se­g­no-Ver­weis­zei­chen – rot mar­kiert

3. die An­wei­sung „da capo #“ – grün ge­kenn­zeich­net.

Die bei­den von mir hoch­ge­schätz­ten Her­aus­ge­ber der Mo­zart-So­na­ten im Rah­men der Neuen Mo­zart-Aus­ga­be (NMA, Bä­ren­rei­ter-Ver­lag) war­fen erst­mals die Frage auf, was genau mit die­sen drei An­wei­sun­gen ge­meint sein soll, was und ab wo wie­der­holt wird. Keine ba­na­le Frage, denn of­fen­kun­dig ist die Ant­wort dar­auf nicht. Es feh­len näm­lich alle „alla turca“-Tak­te, die die­ser letz­ten Seite vor­aus­ge­hen, und nur hier­in ste­hen die je­wei­li­gen „Ge­gen­zei­chen“, die eine Auf­lö­sung der Frage bräch­ten. Von den drei an ein und der­sel­ben Stel­le no­tier­ten Wie­der­ho­lungs­an­wei­sun­gen scheint min­des­tens eine wenn nicht gar zwei über­flüs­sig (NMA: „Pleo­nas­mus“). Die NMA-Her­aus­ge­ber schla­gen als Lö­sungs­an­satz des vor­geb­li­chen Pro­blems sogar hy­po­the­tisch vor, dass es sich bei un­se­rem Blatt um ein nach­träg­lich be­schrie­be­nes han­deln könn­te. Das ei­gent­li­che Pro­blem wird al­ler­dings durch diese ge­wag­te These kei­nes­wegs ge­klärt (was die Her­aus­ge­ber auch frei­mü­tig zu­ge­ben)[1].

Dabei ist die Sach­la­ge ganz sim­pel, so­fern man sich nicht vom ers­ten Au­gen­schein täu­schen lässt. Alle drei Ver­weis­zei­chen haben ihren guten Sinn und Grund. Der Au­gen­schein sug­ge­riert, dass man es in der obers­ten Zeile des Salz­bur­ger Au­to­graphs mit einem durch­gän­gi­gen No­ten­text zu tun habe, also die Schluss­tak­te des „alla turca“ = Takte 90-127. Würde es sich so ver­hal­ten, so wür­den Mo­zarts di­ver­se Wie­der­ho­lungs­an­wei­sun­gen in Takt 96a ste­hen. Auf die­sen Au­gen­schein sind denn auch die NMA-Her­aus­ge­ber ge­wis­ser­ma­ßen her­ein­ge­fal­len. Denn bei den ers­ten sie­ben Tak­ten der au­to­gra­phen Salz­bur­ger No­ten­sei­te han­delt es sich mei­ner Über­zeu­gung nach gar nicht um die Takte 90-96a/b, son­dern um die Takte 58-64. Erst mit der Da ca­po-An­wei­sung sehen wir dann Takt 96b ff. Da­zwi­schen ste­hen die di­ver­sen Wie­der­ho­lungs­an­wei­sun­gen, die der Ko­pist genau be­ach­ten muss: In Mo­zarts Kom­po­si­ti­on, wie wir sie ken­nen, schließt sich ja be­kannt­lich an Takt 64 (= letz­ter Takt des A-dur-Teils) die Wie­der­ho­lung des Satz­an­fangs, des a-moll-Tei­les an, also die Takte 1-24. Und genau das zeigt Mo­zart mit sei­ner An­wei­sung „da capo #“ an. Die­ses „#“ wird Mo­zart ver­mut­lich si­cher­heits­hal­ber zu Be­ginn des „alla turca“-Sat­zes no­tiert haben. Na­tür­lich schließt sich daran naht­los der A-dur-Teil (die Takte 25-32) an. Das „da capo #“ in Takt 64 ver­langt also ganz ein­fach die Wie­der­ho­lung der bei­den Haupt­ab­schnit­te des Stü­ckes in a-moll und A-dur im An­schluss an Takt 64 (= T. 1-32 T. 65-96a). In Takt 32 muss­te Mo­zart dann nur das dal-se­g­no-Sprung­zei­chen no­tie­ren (das ist die zwangs­läu­fi­ge und plau­si­ble Hy­po­the­se), denn jetzt folgt nicht, wie beim ers­ten Mal der fis-moll-Teil, son­dern es geht gleich hin­über in die Coda (= T. 96b ff.). Nichts an­de­res drü­cken die bei­den oben rot mar­kier­ten, ent­spre­chend kor­re­spon­die­ren­den aus. Und somit fin­det schließ­lich auch das sim­ple, links­sei­ti­ge Wie­der­ho­lungs­zei­chen in Takt 64 seine ein­fa­che Er­klä­rung: es stellt kei­nes­wegs einen „Pleo­nas­mus“ dar, son­dern ver­langt schlicht die Wie­der­ho­lung der Takte 56-64, bevor der Sprung zur „da capo“-Wie­der­ho­lung der Takte 1 ff. er­fol­gen soll. Zu­sam­men­fas­send gra­fisch dar­ge­stellt:

Von Mo­zart no­tier­te, aber erst ab T 58 über­lie­fer­te Ab­schnit­te:

# A (a-moll)        B (A-dur)         C (fis-moll)       B (A-dur)

T. 1-24                25-32                33-56                57-64, ge­folgt von: „da capo #

Von Mo­zart nicht aus­no­tier­te, durch Wie­der­ho­lungs­an­wei­sun­gen ver­lang­te Ab­schnit­te:

# A (a-moll)    B (A-dur) 

65-88               89-96a

Von Mo­zart aus­no­tier­ter Schluss­ab­schnitt:

 Coda (A-dur)

96b – 127.

Und es geht noch wei­ter: Erst im An­schluss an den Schluss no­tiert/skiz­ziert Mo­zart gut er­kenn­bar die hei­kel zu spie­len­den ge­bro­che­nen Ok­ta­ven für den drit­ten und letz­ten Auf­tritt des B-Teils in A-dur (T. 89 ff.) – oben gelb mar­kiert. Diese Ok­ta­ven­va­ri­an­te konn­te ja, wie wir jetzt wis­sen, Mo­zart im Haupt­text nicht no­tie­ren, denn just diese drit­te Wie­der­ho­lung des B-Teils ist Be­stand­teil der nicht aus­no­tier­ten Aus­füh­rung der „da capo #“-An­wei­sung. Es liegt also mehr als nahe, in Mo­zarts klei­ner Ok­ta­vie­rungs­skiz­ze (üb­ri­gens über­ra­schend im Vio­lin­schlüs­sel no­tiert, wäh­rend die rech­te Hand hier sonst im So­pran­schlüs­sel ge­schrie­ben steht) eben­falls eine Ko­pis­ten­an­wei­sung zu er­ken­nen: Alle frü­hen Ab­schrif­ten und Dru­cke, alle Aus­ga­ben bis zum heu­ti­gen Tag, geben Mo­zarts Wil­len hier kor­rekt wie­der. Die ge­bro­che­nen Ok­ta­vie­run­gen schei­nen al­ler­dings eine nach­träg­li­che Idee Mo­zarts ge­we­sen zu sein, wor­auf be­reits Ul­rich Lei­sin­ger hin­wies[2]: das kurze Notat ist näm­lich mit an­de­rer Tin­ten­far­be und in an­de­rem Duk­tus no­tiert (der Vio­lin­schlüs­sel dazu scheint sogar nach­träg­lich er­gänzt?). Je­den­falls ein fas­zi­nie­ren­der Ein­blick in Mo­zarts Werk­statt.

Re­kon­struk­ti­on des ori­gi­na­len Ge­samt­au­to­graphs

Zum Ab­schluss nun noch eine Zu­ga­be für den en­ge­ren Kreis der (Mo­zart-) Edi­ti­ons­kol­le­gen.

Spä­tes­tens seit dem Bu­da­pes­ter Fund des Dop­pel­blatts im Herbst 2014 zu­sam­men mit der obi­gen Rich­tig­stel­lung des Salz­bur­ger Text­be­funds lässt sich der ur­sprüng­li­che Um­fang in­klu­si­ve La­gen­ord­nung des Au­to­graphs vor des­sen Zer­streu­ung re­kon­stru­ie­ren. Das muss an die­ser Stel­le auch des­halb getan sein, weil die ein­schlä­gi­ge Be­schrei­bung bzw. hy­po­the­ti­sche Be­schrei­bung der ver­ehr­ten NMA auch hier­in falsch ist. Vom ur­sprüng­lich voll­stän­di­gen Ori­gi­nal­ma­nu­skript von KV 331 (= A) exis­tie­ren heute (Stand Herbst 2015) nur die bei­den fol­gen­den Teile:

A1 = das Bu­da­pes­ter Dop­pel­blatt, ent­hal­tend den ers­ten Satz ab Takt 55 (ab Va­ria­ti­on III), das voll­stän­di­ge Me­nu­ett und den ers­ten Teil des Trios bis ein­schließ­lich des­sen Takt 10.

A2 = das Salz­bur­ger Ein­zel­blatt, ent­hal­tend Takte 58-64, sowie un­mit­tel­bar an­schlie­ßend Takte 96b-127; siehe hier oben ab­ge­bil­det und be­spro­chen.

Ver­schol­len sind bis heute dem­nach: Der An­fang des 1. Sat­zes (T. 1-54); der Schluss des Trios (2. Satz, ab Trio T. 11); we­sent­li­che Teile des 3. Sat­zes (T. 1-57).

Ei­ni­ge se­kun­dä­re Merk­ma­le der er­hal­te­nen au­to­gra­phen Teile er­lau­ben eine ein­deu­ti­ge Re­kon­struk­ti­on des Ge­samt­au­to­graphs (ab­wei­chend von NMA), be­grün­det wie folgt:

(a)     Pa­gi­nie­rung:

A1 ist durch­ge­hend sehr klein, wohl nicht au­to­graph, von „3“ bis „6“ pa­gi­niert, näm­lich je­weils in der obe­ren rech­ten, bzw. bei ge­ra­den Sei­ten lin­ken obe­ren Ecke. Dem­nach gehen der Seite „3“ (= An­fang von A1) zwei Sei­ten („1“ und „2“) vor­aus. Auf die­sen bei­den ers­ten (feh­len­den) Sei­ten müs­sen sich fol­ge­rich­tig die Takte 1-54 des ers­ten Sat­zes be­fin­den.

(b)     Takt­an­zahl

Diese Schluss­fol­ge­rung lässt sich auch über­zeu­gend durch den tat­säch­li­chen und ver­mut­li­chen Um­fang (An­zahl der Takte) be­grün­den: A1/2 sind zehn­zei­lig ras­triert, pro Seite ste­hen also fünf Ak­ko­la­den zur Ver­fü­gung. Die in A1 er­hal­te­nen Takte des ers­ten Sat­zes zei­gen eine durch­schnitt­li­che An­zahl von 6-7 Tak­ten pro Ak­ko­la­de. Also pas­sen auf eine No­ten­sei­te, selbst wenn Mo­zart eng no­tiert haben soll­te, ma­xi­mal etwa 35 Takte (5 x 7). Die feh­len­den ers­ten 54 Takte müs­sen dem­nach auf zwei (aber nicht mehr) Sei­ten no­tiert wor­den sein. Näm­lich auf den Sei­ten 1 und 2 (= ein Blatt), das mit an Si­cher­heit gren­zen­der Wahr­schein­lich­keit mit einem an­de­ren Blatt ein Dop­pel­blatt (bi­fo­li­um) bil­det. Auf die­sem zwei­ten Blatt muss die Fort­set­zung der feh­len­den Trio-Tak­te (11 f.) und der Be­ginn des „alla turca“ ste­hen. Diese na­he­lie­gen­de Hy­po­the­se kann man wie folgt be­grün­den:

Die dank A1 er­hal­te­nen An­fangs­tak­te des Trios zei­gen etwa 10 Takte pro Ak­ko­la­de, so­dass die feh­len­den 42 Takte des Trios auf vier bis ma­xi­mal fünf Ak­ko­la­den pas­sen. Das ent­spricht in etwa einer Seite. Ak­zep­tiert man meine In­ter­pre­ta­ti­on zu Be­ginn die­ses Blog­bei­trags, gehen also dem Be­ginn von A2 (= T. 58) 57 au­to­graph no­tier­te Takte vor­aus. Für den 3. Satz lässt sich dank der we­ni­gen er­hal­te­nen Takte in A2 (die Rück­sei­te ist vacat) ein Platz­be­darf von etwa 11 Tak­ten pro Ak­ko­la­de er­mit­teln, wes­halb für die feh­len­den vor­aus­ge­hen­den 57 Takte etwas mehr als eine Seite be­nö­tigt wird (5 Ak­ko­la­den à 11 Takte = 55 Takte/ Seite); für den An­fang des „alla turca“ ge­nüg­te Mo­zart daher ent­we­der bei etwas enger No­tie­rung die Rück­sei­te des feh­len­den Dop­pel­blat­tes oder er nutz­te noch die letz­te Zeile der vor­aus­ge­hen­den Seite mit dem Schluss des Trios. In jedem Falle be­an­spru­chen die feh­len­den Teile des 2. und 3. Sat­zes nicht mehr als ein No­ten­blatt bzw. 2 Sei­ten.

Der aus Pa­gi­nie­rung und Plat­z­er­mitt­lung er­mit­tel­te Um­fang der bis heute feh­len­den au­to­gra­phen Teile stellt sich dem­nach zu­sam­men­fas­send bün­dig wie folgt dar:

1. Satz, T. 1-54:                      ent­spricht Um­fang von einem No­ten­blatt bzw. 2 No­ten­sei­ten
2. Satz, Trio, ab T. 11:           ent­spricht etwa einer No­ten­sei­te
3. Satz, T. 1-57:                      ent­spricht etwa einer No­ten­sei­te

Zur Re­kon­struk­ti­on der La­gen­ord­nung des Ge­samt­au­to­graphs KV 331 liegt es nahe, die bei Mo­zart-Au­to­gra­phen häu­fig an­zu­tref­fen­den zwei in­ein­an­der­ge­leg­ten Dop­pel­blät­ter (2 Bi­fo­lia) an­zu­neh­men: Die bei­den feh­len­den No­ten­blät­ter dürf­ten also ein zu­sam­men­hän­gen­des Dop­pel­blatt (bi­fo­li­um) bil­den (oder ge­bil­det haben), in das hin­ein das Dop­pel­blatt A1 ge­legt war:

Bu­da­pes­ter Bi­fo­li­um A1

Feh­len­des Bi­fo­li­um Salz­bur­ger Ein­zel­blatt A2

Diese re­kon­stru­ier­te La­gen­ord­nung zwei­er in­ein­an­der­ge­leg­ter Bi­fo­lia, er­gänzt durch ein ab­schlie­ßen­des Ein­zel­blatt, ent­spricht im Üb­ri­gen exakt der La­gen­ord­nung der bei­den „Schwes­ter-Kla­vier­so­na­ten“ KV 330 und 332[3].

(c)      Fo­li­ie­run­gen

In A1 wur­den die bei­den „rech­ten Sei­ten“ (= Blatt 2r und 3r) zu­sätz­lich zur Pa­gi­nie­rung in Tinte in sehr klei­ner, wohl kaum au­to­gra­pher Schrift je­weils rechts oben, außen, mit „10“ und „11“ fo­li­iert. Das Salz­bur­ger Blatt A2 ist re/oben wie­der­um auf­fäl­lig groß mit „13“ be­zeich­net (und dar­über hin­aus win­zig klein noch­mals „13“ am obe­ren Au­ßen­rand). Die Her­aus­ge­ber der NMA mut­ma­ßen[4], dass es sich bei der „13“ um eine Pa­gi­nie­rung han­deln muss, weil ein Platz­be­darf von „kaum mehr als drei Dop­pel­blät­ter (= S. 1-12) und die Vor­der­sei­te (= S. 13) eines Ein­zel­blat­tes“ an­ge­nom­men wer­den müss­te. Wie oben be­reits nach­ge­wie­sen wer­den konn­te, ist dies eine fal­sche, im­mer­hin um ein Bi­fo­li­um zu groß­zü­gig di­men­sio­nier­te An­nah­me. Bei der „13“ auf A2 dürf­te es sich viel­mehr um die – von an­de­rer Hand ge­schrie­be­ne – Fort­set­zung der Fo­li­ie­rung von A1 han­deln, denn nach Blatt „11“ fehlt, siehe oben (La­gen­ord­nung), Blatt „12“, es folgt A2 = Blatt „13“. Das erste, feh­len­de Blatt von KV 331 dürf­te dem­nach mit „9“ fo­li­iert sein. In­ter­es­sant wäre es üb­ri­gens zu er­fah­ren, wel­ches Werk (oder Werke) die vor­aus­ge­hen­den Blät­ter „1-8“ kenn­zeich­nen; ein Zu­sam­men­hang mit den Au­to­gra­phen von KV 330 und 332 scheint nicht zu be­ste­hen, denn hier fin­det sich kei­ner­lei ent­spre­chen­de Fo­li­ie­rung[5].


[1] „Der Sinn des Ver­merks Da capo mit Ver­weis­zei­chen … ist ohne Kennt­nis der vor­her­ge­hen­den Seite des Au­to­graphs nicht ein­deu­tig zu klä­ren; er könn­te sich auf die Wie­der­ho­lung der Dur-Epi­so­de Takt 25-32I be­zie­hen, doch hat Mo­zart nicht nur den Ver­merk, son­dern zu­sätz­lich auch Re­pe­ti­ti­ons­zei­chen ge­setzt, was einem Pleo­nas­mus gleich­kommt. Fol­gen­de Hy­po­the­se mag hier wei­ter­füh­ren: Viel­leicht soll­te der Satz zu­nächst durch ein (nicht aus­no­tier­tes) ‚Da capo‘ der Takte 25 ff. = Takt 89-96 ab­ge­schlos­sen wer­den. Eine nach­träg­lich kon­zi­pier­te Er­wei­te­rung des Satz­schlus­ses war dann auf dem zur Ver­fü­gung ste­hen­den ‘Raum am Ende des So­na­ten­au­to­graphs nicht mehr un­ter­zu­brin­gen, wes­we­gen Mo­zart ein se­pa­ra­tes Blatt zur Hilfe neh­men mußte. Es spricht ei­ni­ges dafür, daß das über­lie­fer­te au­to­gra­phe Frag­ment nicht als zu­fäl­lig ab­ge­trenn­ter Teil des Ge­samt­au­to­graphs, son­dern tat­säch­lich als zu­sätz­lich no­tier­te Er­gän­zung zu ver­ste­hen ist. Der al­ler­dings merk­wür­di­ge Pleo­nas­mus von Da-ca­po-Ver­merk und Re­pe­ti­ti­ons­zei­chen blie­be damit zwar wei­ter be­ste­hen, ließe sich aber durch un­se­re Hy­po­the­se bes­ser be­grei­fen.“ Neue Mo­zart-Aus­ga­be, Serie IX, Kla­vier­mu­sik, Werk­grup­pe 25: Kla­vier­so­na­ten , Bd. 2. Hrsg. von W. Plath u. W. Rehm. Kas­sel 1986, S. XI (Vor­wort). Man lese auch den Kri­ti­schen Be­richt zur Neue Mo­zart-Aus­ga­be, Serie IX, Werk­grup­pe 25. Kas­sel 1986, S. 87, 95, 198.

[2] Wie­ner Ur­text Edi­ti­on Lei­sin­ger. In NMA wegen der fal­schen Iden­ti­fi­zie­rung der An­fangs­tak­te des Salz­bur­ger Au­to­graphs mit Takt 90 ff. schief er­läu­tert.

[3] NMA/KB, Kas­sel 1986, S. 77 bzw. 96.

[4] NMA/KB, Kas­sel 1986, S. 87, und Fuß­no­te 36.

[5] Schließ­lich fin­det sich noch in A1, 4. Seite, am lin­ken Au­ßen­rand in Höhe der un­ters­ten Ak­ko­la­de, die mit dem Trio be­ginnt, wie­der­um von an­de­rer Hand: „7.“. Die Be­deu­tung die­ser Zif­fer ist un­klar, woll­te man nicht in der Über­ein­stim­mung mit der Erst­aus­ga­be, deren 7. Seite von KV 331 (= S. 20) just mit dem Trio be­ginnt, mehr als einen rei­nen Zu­fall er­bli­cken wol­len.

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10 Antworten auf »Weitere neue Erkenntnisse zum Autograph der Klaviersonate A-dur KV 331«

  1. Andreas Pistorius sagt:

    Woher glaubt man zu wissen, daß dieses Autograph der “letzte Wille” Mozarts betr. dieser Sonate war? Wann kam die Erstausgabe heraus, falls zu Mozarts Lebzeiten, dann wäre das Autograph schon mal “abgewertet”. Wie oft nehmen Komponisten auch gerade nach dem Erstdruck oder Probedruck (Liszt z.B.) Änderungen vor (kann man das bei Mozart ausschließen?), das Autograph, selbst wenn es angeblich als Druckvorlage diente, ist dann wenig aussagekräftig!

    • Wolf-Dieter Seiffert sagt:

      Sehr geehrter Herr Pistorius,
      ich stimme Ihrer Bemerkung völlig zu! Der „letzte Wille“ Mozarts ist nicht allein im Autograph festgelegt, ganz im Gegenteil hat er, wie viele andere Komponisten, im Verlauf des Veröffentlichungsprozesses Veränderungen an der Werkgestalt vorgenommen. Im Falle der A-dur-Sonate KV 331, die in Wien im August 1784 im Erstdruck erschien, ist es ganz offenkundig, dass einige Abweichungen der Erstausgabe zum Autograph autorisiert sind, weshalb ich diese Quelle als weitere Primärquelle verwende. Der entsprechende Kritische Bericht ist übrigens kostenlos über unsere Webseite einseh- und ausdruckbar, falls Sie tiefer einsteigen wollen. Nochmal tausend Dank für Ihr Interesse.

  2. Welzel sagt:

    Genau das ist eben das Problem, wo liegen die Prioritäten,
    hoffentlich nicht im persönlichen Ehrgeiz oder Absatzzahlen! ?
    Bei KV457 und 332 der Mittelsätze hat man gesehen,
    das ein Autograph auch nur ein Zwischenstadium sein kann.
    Was ich an der Neuausgabe schade finde:
    Die fragliche A-Moll Sequenz im Menuett wird widerlegt,
    was aus oben genannten Gründen kaum haltbar ist,
    zumal in Takt 23 sich ein Wechsel der Stimmung ankündigt.
    Das Dur ist hier nicht überzeugend.
    Der zu volle Akkord im Takt 122, den Mozart noch nicht mal
    geschrieben hat, stört auch. Glücklicherweise kann man sich ja als
    Interpret über sowas hinwegsetzen.

    • Ein Autograph ist nach Meinung aller Experten viel mehr als nur ein „Zwischenstadium“ innerhalb der Textüberlieferung. Es ist, und in ganz besonderem Maße im Falle Mozarts, stets eine sehr ernst zu nehmende Hauptquelle. Viele Musiker meinen, dass so ein Autograph das letzte Wort des Komponisten sei. Das ist natürlich ein Irrtum – da haben Sie völlig recht. Natürlich muss man auch beispielsweise den Text der Erstausgabe (oder einer frühen Abschrift) sehr ernst nehmen, sofern zu Mozarts Zeit erschienen. Vor allem, wenn diese Texte in (vielen) Details vom ursprünglichen, autographen Text abweichen. Genau das ist bei KV 331 der Fall. Wenn Sie meinem Kritischen Apparat Beachtung schenken würden, würde Ihnen auffallen, dass ich beide Quellen als editorisch gleichwertig betrachte und jede Textabweichung bewerte. Stets muss akribisch geprüft und begründet werden, wo von einer Textverbesserung, wo von einem unentdeckten Stichfehler ausgegangen werden muss. Editorisches Handwerk.
      Ihre beiden Fallbeispiele gehen argumentativ ins Leere: Der A-dur-Mittelteil im Menuett steht textidentisch in Autograph und Erstausgabe. Der von Ihnen genannte Akkord im 3. Satz (T. 122) steht so in der Erstausgabe; ich gehe davon aus, dass ihn Mozart für den Druck entsprechend über das Autograph hinaus (dort nur Sexte) korrigierte – also ganz im Sinne Ihrer Ermahnung, den Wert der Erstausgabe nicht zu unterschätzen.

  3. Weller sagt:

    Es wird stolz die A-Dur Version vom Mittelteil im Menuett bei youtube vorgetragen,
    kein Kommentar dazu. Natürlich klingt das Moll wie in früheren Ausgaben
    schlüssiger, keiner sagt etwas dazu. Das beweist eigentlich nur,
    dass auch diese Neuausgabe ein weiterer Zwischenschritt ist.
    Die Auswertung aller Quellen und die daraus entstehenden Rückschlüsse bleiben
    eine Herausforderung weiterhin. Das muss man akzeptieren.

    • Das a-moll im Menuett-Mittelteil mag Ihnen „schlüssiger“ klingen – mir selbst ging es zunächst auch so – , aber die Quellenlage ist nun einmal eindeutig. Mozart will A-dur, nicht a-moll. Wir sollten das respektieren, meinen Sie nicht?

  4. Weller sagt:

    Selbstverständlich !
    Es ist eben das Problem, gerade dieses Werk schon
    1000 mal gehört zu haben, das Ohr hat sich an etwas
    gewöhnt und akzeptiert quasi nichts anderes.
    Das nachträglich eingeschobene Kreuz in Takt 26 lässt
    nachvollziehen, Mozart hat das anfängliche Moll verworfen,
    um es dann in den Takten 27-29 noch konzentrierter erscheinen zu lassen.
    Die Andre-Editoren damals hatten mit Sicherheit nicht diesen
    subtilen Gedankengang und uns eben die altbekannte Version beschert.
    Natürlich bedeutet die Musik Mozarts in jedem Takt
    ein Höchstmaß an Wohlklang, mehr als bei jedem anderen Komponisten.
    Man hört jede falsche Note sofort heraus. Dennoch sollte man sich seiner
    hoch-emotionalen Persönlichkeit immer bewußt bleiben,
    die Zauberflöte mag dafür ein für jedermann bekanntes Beispiel sein.
    Darum ist auch hier im Menuett neben dem harmonischen Aspekt
    immer die theatralische Komponente mit einzukalkulieren,
    ein plötzlich ausbrechendes Moll ab Takt 27
    nach einiger Überlegung eben doch die bessere Variante.

  5. Kirmeier Konrad sagt:

    Sehr interessante und hochwissenschaftliche Erklärungen, die ich leider erst nach fünf Jahren entdeckt habe.

    Nachdem ich diese Sonate immer besonders hoch geschätzt habe, da sie sich von allen anderen Mozartsonaten abhebt, ist mir Ihr Beitrag sehr hilfreich.

    Ich achte heute mehr auf die Wirkung dieser Musik als auf das drumherum.
    Da es kein vollständiges Autograph gibt, ist diese Sonate heute für mich zwar immer noch reizvoll, da so “berühmt”, aber ich lasse lieber die Finger davon, und halte mich lieber an die Werke in Ihrem Verlag, wo es vollständige Autographe als Grundlage gibt. Obwohl Zweifel auch da immer angebracht sind.
    Die Wirkung der Musik ist für mich das entscheidende. Da kann ich nur eine ganz unscheinbare Bearbeitung von Mozart erwähnen die, zumindest auf mich, sehr wohltuend wirkt.
    Nämlich das einseitige Klavierstück in Es-Dur, das Mozart wohl 1787 aus der Oper von Gluck mit “nachhause” genommen, und auf seine geniale Art, “bearbeitet” hat.

    Ich sage da nur weniger Mozart ist mehr….

  6. Kirmeier Konrad sagt:

    Lieber Herr Seiffert,

    meine Erfahrungen mit dieser Klaviersonate, die mich immer wieder fasziniert und reizt, haben sich erweitert.
    Habe mir die Neuausgabe von Henle zur Hand genommen und bin “neu” an dieses Werk rangegangen.
    Es ist gewaltig was Mozart da komponiert hat. Das Adagio bringt mich richtig in Trance während dem Spielen. Und dann kommen da die Handüberkreuzungen in Variation 4 und dem Menuett vor.
    Wer das spielen kann, der nimmt das Alla Turca dann mit “links”.
    Ein Meisterwerk. Ich bin zutiefst dankbar für den “Neuzugang” mit Ihrer 2015 erschienenen Neuausgabe!
    Ich finde es auch sehr vorbildlich, dass der Henle-Verlag den dritten Satz nicht aus der Sonate nimmt und getrennt vermarktet.
    Viele Grüße
    Konrad Kirmeier
    der ihnen zum “schönsten Beruf der Welt” gratuliert, und hofft zumindest seine “Berufung” als Musiker endlich einmal zu finden…

  7. Kirmeier Konrad sagt:

    Schade das es zu diesem Blog keine weiteren Beiträge gibt!
    Anscheinend gibt es nichts mehr hinzuzufügen…?

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