Es macht das Leben so viel einfacher: Wir sagen „Sturmsonate“, „Pathétique“ und „À Thérèse“ und verstehen uns viel schneller als durch mühsames Wiedergeben von Zahlenwerk – 17. Sonate d-moll op. 31 Nr. 2, 8. Sonate c-moll op. 13 oder 24. Sonate Fis-dur op. 78. Doch wie authentisch, wie echt sind diese bekannten Beinamen? Und führen sie uns nicht doch vielleicht manchmal in die Irre? Eine kleine Zusammenstellung in zwei Teilen.
Teil 1: Die authentischen Beinamen
Gehen wir sie durch, die 32 Klaviersonaten Beethovens (plus der drei frühen „Kurfürstensonaten“) und beginnen wir in diesem 1. Teil meines Beitrags mit denjenigen Beinamen, die zweifellos oder mit sehr großer Wahrscheinlichkeit vom Komponisten selbst vergeben wurden.
Pathétique op. 13: Ach, wäre es doch immer so leicht. Die Namensgebung lässt sich in diesem Fall bis auf die Originalausgabe der Sonate im Verlag Hoffmeister in Wien im Herbst 1799 zurückverfolgen: „Grande Sonate pathétique“. Sie ist mit Sicherheit von Beethoven gebilligt (auch wenn uns handschriftliche Belege dafür fehlen), der die Veröffentlichung vor Ort begleitete. Mit ihrer Leidenschaftlichkeit, ihrer Zerrissenheit, aber auch mit ihrer charakteristischen Darstellung des Pathetisch-Erhabenen wird das Meisterwerk seinem Beinamen in jeder Hinsicht gerecht.
Sonate mit dem Trauermarsch op. 26: Auch wenn Beethoven der Sonate insgesamt nur den Titel „Gran Sonata“ gab, so wäre der Zusatz zum 3. Satz der Sonate „Marcia funebre sulla morte d’un Eroe“ (Trauermarsch auf den Tod eines Helden) in der Originalausgabe von 1802 nicht ohne Beethovens Einverständnis erschienen. Er selbst orchestrierte 13 Jahre später diesen Satz für die Musik zum Drama „Eleonore Prohaska“ und notierte den Titel „Trauermarsch“ in diesem Manuskript.
Les Adieux op. 81a: Der erste schwierigere Fall. Beethoven erhielt von seinem Verleger Breitkopf & Härtel im Oktober 1811 Exemplare der Originalausgabe mit deutschem Titel: „Lebewohl, Abwesenheit und Wiedersehn. | Sonate für das Pianoforte“ und französischem Titel: „Les Adieux, l’Absence et le Retour | Sonate | Pour le Pianoforte“. Ausgerechnet über „Les Adieux“ beschwerte sich Beethoven bitter: „eben erhalte ich das Lebe wohl etc ich sehe daß sie doch auch andre E.[xemplare] Mit französischem Titel, warum denn, lebe wohl ist was ganz anders als les adieux das erstere sagt man nur einem Herzlich allein, das andere einer ganzen Versammlung ganzen städten“ (Brief vom 9.10.1811).
Warum der subtile Bedeutungsunterschied für Beethoven so wichtig war, erklärt sich mit einem Blick in die Manuskripte. Die Sonate bezog sich ausdrücklich auf Ereignisse im Leben des Widmungsträgers Erzherzog Rudolph. 1. Satz: „Das Lebe Wohl | Wien am 4ten May 1809 | bei der Abreise S Kaiserl. Hoheit | des Verehrten Erzherzogs | Rudolph“, 2. und 3. Satz: „Vien 1810 am 30ten jenner | Geschrieben bey der Ankunft | Seiner kaiserl. Hoheit | Des Verehrten Erzherzogs Rudolf“. Dass wir die Sonate heute „Les Adieux“ nennen, hätte uns also mit dem Komponisten einigen Ärger eingebracht. (Das Ganze gestaltet sich wesentlich komplizierter, als ich es hier in Kürze darstellen kann – das ist einen eigenen Blog-Beitrag wert!)
Zwei leichte Sonaten op. 49 und Sonatine op. 79: Dass die Titel „Sonatine“ und „leichte Sonate“ von Beethoven in sehr ähnlicher Bedeutung verwendet wurden, zeigen uns die Quellen: Die Originalausgabe der Sonaten op. 49 trägt den Titel „Deux Sonates faciles“, das Autograph der ersten Sonate dagegen ist überschrieben „Sonatine“. Auch bei der Sonatine op. 79 gibt es einen Unterschied in der Titelgebung, die deutsche Originalausgabe lautet „Sonatine“, die englische (zusammen mit der Sonate op. 78) dagegen „Two Sonatas“, auch Beethovens Autograph trägt den schlichten Titel „Sonata“. Dennoch sind die Abstufungen „Sonatine“ und „leichte Sonate“ ohne Frage als Zusätze des Komponisten selbst zu behandeln und unsere Benutzung ist legitim.
Grande Sonate op. 7: Erneut ein schwieriger, eigentlich sogar sehr schwieriger Fall. Die Sonate op. 7 ist die erste Sonate Beethovens, die im französischen Titel der Originalausgabe den Zusatz „Grande“ trägt. Anders als bei den 3 Sonaten op. 2 erschien diese Sonate einzeln, nicht in einer Werkgruppe. Doch trifft dies auch auf die Sonaten op. 13, 22, 26, 28, 53 und 106 zu, die alle ebenfalls als „große“ Sonate bezeichnet sind, in den Originalausgaben und, wo vorhanden, auch in den Manuskripten.
Lediglich der Sonate op. 7 im Sprachgebrauch also diesen Beinamen zu geben, ist irreführend. Und man muss sich zurecht fragen, ob das „Große“ sich nicht genauso auf die Sonaten op. 2 Nr. 3, op. 10 Nr. 3 und op. 57 (Appassionata!) übertragen ließe. Besonders im letzteren Fall hätte man diesen Zusatz doch erwarten können, er findet sich jedoch auch im Autograph nicht.
Vorsichtig gefragt: Sagt das „Grande“ wirklich unbedingt etwas über die Bedeutung und Gewichtung des Werks aus? Ist es nicht vielleicht ein häufig nur zur besseren Verkäuflichkeit vom Komponisten oder vom Verleger beigesetztes Attribut? Sollten wir wirklich singulär nur die Sonate op. 7 so nennen? (Es ist beruhigend zu wissen, dass sich dieser Beiname nicht überall durchsetzen konnte.)
Hammerklaviersonate op. 106: Ja, auch dieser Titel ist „echt“. Das macht ihn aber nicht weniger problematisch. „Sonate für das Hammer-Klavier“ lautet schon der Titel für die chronologisch vorangehende Klaviersonate op. 101, und ebenso für die auf Opus 106 folgenden Sonaten op. 109 und op. 110.
Das Zustandekommen dieses Zusatzes geht auf Beethoven zurück, der vor der Veröffentlichung der Sonate op. 101 seinen Verleger S. A. Steiner dazu verpflichten wollte, neben der üblichen italienischen Bezeichnung „Piano-Forte“ auch eine deutsche auf dem Titel anzubringen. Im Januar 1817 sandte er Steiner zunächst einen Titelentwurf und bat: „der Titel ist zuvor einem sprachverständigen zu zeigen Hämmer-Klawier [so die Bezeichnung im Titelentwurf] ist sicher Deutsch ohnehin ist die Erfindung auch deutsch, gebt Ehre dem Ehre gebührt“. Wenig später bat er erneut, Rat einzuholen, „ob Hammer oder Hämmer Klavier oder auch Hämmer-Flügel“ der richtige Name wäre, schließlich wurde auch „Tasten Flügel“ diskutiert, bevor dann endgültig beschlossen wurde: „Wir haben nach eigener Prüfung u. nach Anhörung unseres Conseils beschloßen u. beschließen, daß hinführo auf allen unsern Werken, wozu der Titel Deutsch, statt piano-Forte Hammerklawier gesezt werde“ (Brief vom 23.1.1817).
Wohlgemerkt, diese Diskussion wurde für die Veröffentlichung der Sonate op. 101 geführt und zielte lediglich auf eine Eindeutschung des italienischen Instrumentennamens. Dass wir den Titel „Hammerklaviersonate“ der fast drei Jahre später erschienenen Sonate op. 106 beigeben, hat natürlich andere, im assoziativ-symbolhaften verwurzelte Gründe. Kraft, Arbeit, Energie, Aktivität, Stärke, Macht, Entschlossenheit und Eindringlichkeit – alle diese Eigenschaften verbinden wir mit dem Hammer und demjenigen, der ihn schwingt. Und sie treffen ohne Zweifel auch auf die monumentalste Klavierschöpfung Beethovens, die „Hammerklaviersonate“, zu.
Soweit zu den „echten“ Beinamen der Klaviersonaten Beethovens in diesem 1. Teil meines Blog-Beitrags. Im September werde ich mich dann den populären Titeln zuwenden, die nicht aus der Feder des Komponisten stammen.