Bei unseren Neuausgaben der letzten Zeit wurde auch die Klarinette wieder mit zwei wichtigen Werken aus ihrem Repertoire bedacht, so dass sich unser Holzbläserkatalog stetig erweitert.
Zuerst ist das herrliche Klarinettentrio op. 114 von Johannes Brahms zu nennen, das bei uns inzwischen in Band II/7 der Johannes Brahms Gesamtausgabe (HN 6026, herausgegeben von Katharina Loose-Einfalt) erschienen ist. Gemäß diesem Referenz-Notentext haben wir das Trio nun auch in einer praktischen Einzelausgabe (HN 1125) neu vorgelegt, die unsere frühere, inzwischen schon 40 Jahre alte Ausgabe HN 322 ersetzt. Selbstverständlich wurde für die Neuausgabe der Notensatz komplett neu erstellt, so dass sich das Trio auch optisch in frischer und optimaler Qualität präsentiert.
Außerdem begrüßen wir einen Neuzugang, den wir uns schon lange in unserem Katalog gewünscht haben: die vier Fantasiestücke op. 43 für Klarinette und Klavier von Niels Wilhelm Gade (HN 1353). Der dänische Komponist, der in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiert, schrieb die vier Stücke im Frühjahr 1864 für den befreundeten dänischen Klarinettisten Mozart Petersen, Soloklarinettist in der Königlichen Kapelle in Kopenhagen. (Den ungewöhnlichen Vornamen „Mozart“ verdankte er seinem Vater, ebenfalls Klarinettist, der ganz besonders die Musik Mozarts liebte. Seinen 2. Sohn taufte er übrigens – kein Scherz – auf den Namen „Crusell“…)
Die Quellenlage bei den Fantasiestücken op. 43 ist im Grunde unkompliziert: als Hauptquelle unserer Edition diente die von Gade betreute und autorisierte Erstausgabe, die im August 1864 im Leipziger Verlag Fr.Kistner erschien. (Nebenbei bemerkt stellte sich dabei heraus, dass das Erscheinungsdatum dieser Erstausgabe im Gade-Werkverzeichnis und in vielen Lexika und modernen Editionen irrtümlich mit 1865 angegeben wird, vermutlich basierend auf einer ungenauen Datierung über die Plattennummer.)
Als wichtige Nebenquelle wurde das Autograph herangezogen, das in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen aufbewahrt wird. Da das Autograph nicht als Stichvorlage diente, muss es außerdem eine (heute verschollene) Abschrift gegeben haben, die Gade vermutlich noch einmal durchsah und leicht änderte: so lautet die Tempoangabe des ersten Stücks im Autograph noch Larghetto con moto statt Andantino con moto.
Wie so häufig steckt aber gerade bei Werken für ein Soloinstrument mit Klavierbegleitung der Teufel im Detail, denn der Notentext der Klarinette ist ja doppelt überliefert: im Klarinettensystem in der Partitur sowie in der Einzelstimme. Wenngleich die Noten dieselben sind, gibt es doch unzählige kleine Abweichungen, was Artikulation, Phrasierung und Dynamik betrifft (siehe Notenbeispiel).
Dazu kommt, dass es auch schon im Autograph bereits eine separat ausgeschriebene Solostimme gibt – vermutlich spielte Gade das Werk mit Petersen einmal zur Probe durch. Für den Notentext der Klarinette waren also 4 Quellen zu vergleichen und kritisch zu bewerten. Dabei zeigte sich die eindeutige Tendenz, dass die Einzelstimme in Autograph und Erstausgabe in der Regel genauer, vollständiger und schlüssiger mit Artikulation und Dynamik bezeichnet war als die Stimme in der Klavierpartitur (wahrscheinlich aufgrund des „Praxistests“ durch Petersen). Daher ist in unserer Edition die Einzelstimme der Erstausgabe die Hauptquelle für den Klarinettenpart.
Angesichts dieser Problematik war es eine ideale Konstellation, dass die Edition der Fantasiestücke in den Händen unseres bewährten Herausgebers Nicolai Pfeffer lag, der als Klarinettist diese Detailfragen sowohl aus philologischer als auch aus spielpraktischer und spieltechnischer Perspektive bewerten konnte. Mit unserer Ausgabe brauchen die Klarinettisten nicht mit ihrem Klavierbegleiter über widersprüchliche Angaben zu diskutieren, sondern können sich ganz auf die Musik konzentrieren – und vielleicht irgendwann einmal so gut klingen wie in dieser Aufnahme: