Bei un­se­ren Neu­aus­ga­ben der letz­ten Zeit wurde auch die Kla­ri­net­te wie­der mit zwei wich­ti­gen Wer­ken aus ihrem Re­per­toire be­dacht, so dass sich unser Holz­blä­ser­ka­ta­log ste­tig er­wei­tert.

Zu­erst ist das herr­li­che Kla­ri­net­tent­rio op. 114 von Jo­han­nes Brahms zu nen­nen, das bei uns in­zwi­schen in Band II/7 der Jo­han­nes Brahms Ge­samt­aus­ga­be (HN 6026, her­aus­ge­ge­ben von Ka­tha­ri­na Loo­se-Ein­falt) er­schie­nen ist. Gemäß die­sem Re­fe­renz-No­ten­text haben wir das Trio nun auch in einer prak­ti­schen Ein­zel­aus­ga­be (HN 1125) neu vor­ge­legt, die un­se­re frü­he­re, in­zwi­schen schon 40 Jahre alte Aus­ga­be HN 322 er­setzt. Selbst­ver­ständ­lich wurde für die Neu­aus­ga­be der No­ten­satz kom­plett neu er­stellt, so dass sich das Trio auch op­tisch in fri­scher und op­ti­ma­ler Qua­li­tät prä­sen­tiert.

Niels Wil­helm Gade (1817–1890)

Au­ßer­dem be­grü­ßen wir einen Neu­zu­gang, den wir uns schon lange in un­se­rem Ka­ta­log ge­wünscht haben: die vier Fan­ta­siestü­cke op. 43 für Kla­ri­net­te und Kla­vier von Niels Wil­helm Gade (HN 1353). Der dä­ni­sche Kom­po­nist, der in die­sem Jahr sei­nen 200. Ge­burts­tag fei­ert, schrieb die vier Stü­cke im Früh­jahr 1864 für den be­freun­de­ten dä­ni­schen Kla­ri­net­tis­ten Mo­zart Pe­ter­sen, So­lo­kla­ri­net­tist in der Kö­nig­li­chen Ka­pel­le in Ko­pen­ha­gen. (Den un­ge­wöhn­li­chen Vor­na­men „Mo­zart“ ver­dank­te er sei­nem Vater, eben­falls Kla­ri­net­tist, der ganz be­son­ders die Musik Mo­zarts lieb­te. Sei­nen 2. Sohn tauf­te er üb­ri­gens – kein Scherz – auf den Namen „Cru­sell“…)

Erst­aus­ga­be Leip­zig 1864

Die Quel­len­la­ge bei den Fantasie­stücken op. 43 ist im Grun­de un­kom­pli­ziert: als Haupt­quel­le un­se­rer Edi­ti­on dien­te die von Gade be­treu­te und au­to­ri­sier­te Erst­ausgabe, die im Au­gust 1864 im Leip­zi­ger Ver­lag Fr.​Kistner er­schien. (Ne­ben­bei be­merkt stell­te sich dabei her­aus, dass das Er­schei­nungs­da­tum die­ser Erst­aus­ga­be im Gade-Werkver­zeichnis und in vie­len Le­xi­ka und mo­der­nen Edi­tio­nen irr­tüm­lich mit 1865 an­ge­ge­ben wird, ver­mut­lich ba­sie­rend auf einer un­ge­nau­en Da­tie­rung über die Plat­ten­num­mer.)

Als wich­ti­ge Ne­ben­quel­le wurde das Au­to­graph her­an­ge­zo­gen, das in der Kö­nig­li­chen Bi­blio­thek in Kopen­hagen auf­be­wahrt wird. Da das Au­to­graph nicht als Stich­vor­la­ge dien­te, muss es au­ßer­dem eine (heute ver­schol­le­ne) Ab­schrift ge­ge­ben haben, die Gade ver­mut­lich noch ein­mal durch­sah und leicht än­der­te: so lau­tet die Tem­po­an­ga­be des ers­ten Stücks im Au­to­graph noch Lar­ghet­to con moto statt An­dan­ti­no con moto.

Au­to­graph, Be­ginn des ers­ten Stücks

Wie so häu­fig steckt aber ge­ra­de bei Wer­ken für ein So­lo­in­stru­ment mit Klavierbeglei­tung der Teu­fel im De­tail, denn der No­ten­text der Kla­ri­net­te ist ja dop­pelt über­lie­fert: im Kla­ri­net­ten­sys­tem in der Par­ti­tur sowie in der Ein­zel­stim­me. Wenn­gleich die Noten die­sel­ben sind, gibt es doch un­zäh­li­ge klei­ne Ab­wei­chun­gen, was Ar­ti­ku­la­ti­on, Phra­sie­rung und Dy­na­mik be­trifft (siehe No­ten­bei­spiel).

Ein­zel­stim­me (in B no­tiert)

Kla­vier­par­ti­tur (in C no­tiert)

Dazu kommt, dass es auch schon im Au­to­graph be­reits eine se­pa­rat aus­ge­schrie­be­ne So­lo­stim­me gibt – ver­mut­lich spiel­te Gade das Werk mit Pe­ter­sen ein­mal zur Probe durch. Für den No­ten­text der Kla­ri­net­te waren also 4 Quel­len zu ver­glei­chen und kri­tisch zu be­wer­ten. Dabei zeig­te sich die ein­deu­ti­ge Ten­denz, dass die Ein­zel­stim­me in Au­to­graph und Erst­aus­ga­be in der Regel ge­nau­er, voll­stän­di­ger und schlüs­si­ger mit Ar­ti­ku­la­ti­on und Dy­na­mik be­zeich­net war als die Stim­me in der Kla­vier­par­ti­tur (wahr­schein­lich auf­grund des „Pra­xis­tests“ durch Pe­ter­sen). Daher ist in un­se­rer Edi­ti­on die Ein­zel­stim­me der Erst­aus­ga­be die Haupt­quel­le für den Kla­ri­net­ten­part.

An­ge­sichts die­ser Pro­ble­ma­tik war es eine idea­le Kon­stel­la­ti­on, dass die Edi­ti­on der Fan­ta­siestü­cke in den Hän­den un­se­res be­währ­ten Her­aus­ge­bers Ni­co­lai Pfef­fer lag, der als Kla­ri­net­tist diese De­tail­fra­gen so­wohl aus phi­lo­lo­gi­scher als auch aus spiel­prak­ti­scher und spiel­tech­ni­scher Per­spek­ti­ve be­wer­ten konn­te. Mit un­se­rer Aus­ga­be brau­chen die Kla­ri­net­tis­ten nicht mit ihrem Kla­vier­be­glei­ter über wi­der­sprüch­li­che An­ga­ben zu dis­ku­tie­ren, son­dern kön­nen sich ganz auf die Musik kon­zen­trie­ren – und viel­leicht ir­gend­wann ein­mal so gut klin­gen wie in die­ser Auf­nah­me:

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