Immer wieder Mozart: Im letzten Blog vor zwei Wochen ging es um ein kleines rhythmisches Problem in seinem d-moll-Streichquartett, heute soll ein fragliches Vorzeichen in einem seiner bekanntesten Klavierwerke im Mittelpunkt stehen. Eine interessante Kundenanfrage stieß uns auf die folgende Stelle in Mozarts Zwölf Variationen über „Ah, vous dirai-je Maman“ KV 265.

Konkret geht es um die 2. Variation, die als Ganzes wie folgt aussieht:

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In dieser Variation kontrastiert Mozart das ruhige Thema in der Oberstimme mit einer quirligen Sechzehntelbewegung in der linken Hand, in der die jeweilige Hauptnote von der unteren und oberen Nebennote umspielt wird. Dabei ist die untere Nebennote immer eine kleine Sekunde, d.h. in jeder Vierergruppe geht es zwischen 2. und 3. Note einen Halbtonschritt nach unten: c–h–c, a–gis–a, h–ais–h, f–e–f, g–fis–g und so fort.

Aber – wirklich immer…? Nein, in T.68 spielt uns Mozart einen Streich: die 2. Gruppe lautet hier cis–cis1h–cis1, es geht also ausnahmsweise einen Ganztonschritt nach unten. Absicht oder Versehen? Sollte es konsequenterweise hier nicht auch his heißen? Fehlt nicht ein Kreuz vor dem h? Der dadurch entstehende Querstand his in der linken Hand gegen das b in der rechten Hand wäre kein Problem, man vergleiche etwa gleich im nächsten Takt die ganz analoge Stelle mit einem ais links gegen as rechts.

Die Quellen sprechen bei dieser Frage eine eindeutige Sprache, allen voran Mozarts Autograph. Es ist nur fragmentarisch erhalten, enthält zum Glück für uns aber die Variation 2 – ohne Kreuz vor dem h:

KV 265, Autograph (Ausschnitt)

Auch alle Druckausgaben, die zu Mozarts Lebzeiten erschienen (und die große Beliebtheit seiner Komposition belegen), notieren durchweg ein h, kein his:

Erstausgabe Torricella, Wien 1785


Ausgabe Artaria, Wien 1787


Ausgabe Bossler, Speyer 1787

Und wem das noch nicht genügend Beweise sind, möge die 12. Variation betrachten… Hier greift Mozart wieder auf die gleiche Umspielungsfigur in der linken Hand zurück (nun im 3/4-Takt), und der T. 308, der dem T. 68 inhaltlich entspricht, steht in allen Quellen eindeutig mit h:

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Philologisch ist also alles wasserdicht, und auch keine der mir bekannten modernen Ausgaben (darunter Neue Mozart Ausgabe, Wiener Urtext und Peters) hat die Notwendigkeit gesehen, ein (geklammertes) Kreuz vor dem h oder zumindest eine Fußnote zu ergänzen. Und doch bleibt ein kleiner Zweifel, denn das his klingt fraglos gut und wäre im musikalischen Kontext, wie oben beschrieben, eigentlich naheliegender.

Und was „sagen“ die Interpreten? Eine kleine YouTube-Recherche ergab in der Tat einige Treffer, bei denen namhafte Interpreten wie etwa Fazıl Say ein his an der entsprechenden Stelle spielen:

Und was würden Sie spielen? Schreiben Sie’s in den Kommentar!

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3 Antworten auf »„Jeder nur ein Kreuz“… Fehlt ein Vorzeichen in Mozarts Klavier­variationen KV 265?«

  1. Wolfgang Merkes sagt:

    Wenn die Quellenlage so eindeutig ist, sähe ich keine Veranlassung, an dieser Stelle his zu spielen. Es wäre sicher nicht unmöglich (siehe ais im nächsten Takt), aber bei Mozart ist das doch eigentlich noch nicht so häufig wie bei späteren Generationen (Chopin z.B.).

  2. Dr. Michael Struck sagt:

    Lieber Herr Rahmer,

    ein hübsches Problem. Ich “fürchte”, längst nicht nur Fazil Say (der ja mitunter recht frei mit Notentexten umgeht) spielt hier his, sondern auch viele andere Spielerinnen und Spieler denken oder fingern sich die untere Nebennote unbewusst oder bewusst halbtönig zurecht – und haben vielleicht nicht einmal unrecht.

    Ihre Querstands-Argumentation verstehe ich nicht ganz (“Der dadurch entstehende Querstand his in der linken Hand gegen das b in der rechten Hand wäre kein Problem, man vergleiche etwa gleich im nächsten Takt die ganz analoge Stelle mit einem ais links gegen as rechts.”). Denn das laut Mozarts Autograph und den von Ihnen nachgewiesenen Drucken gültige h würde doch den “schlimmeren”, weil quasi halb- statt ganztönig “klingenden” Querstand gegenüber dem b der rechten Hand darstellen.

    Für das h könnte – abgesehen vom eindeutigen Textbefund in Autograph und Drucküberlieferung – ein “systematisches” Indiz sprechen: Würde man his notieren, wäre dies, wenn ich richtig sehe, die einzige Stelle mit z w e i leiterfremden Tönen im Takt in Bezug auf die Grundtonart C-Dur; in den übrigen Takten gibt es jeweils nur e i n e n leiterfremden Ton (alle sonstigen Vorzeichen in den betreffenden Takten des in Ihrem Beitrag wiedergegebenen gedruckten Notentextes sind ja nur Warnungsakzidentien).

    Oder hat Mozart doch nur flüchtig geschrieben? Immerhin lese ich im Takt vor dem Vorzeichenproblem im unteren System sehr eindeutig die Note e, wo doch ziemlich eindeutig f stehen sollte und sicherlich auch stets gedruckt wurde. Vielleicht war der Komponist also doch recht flüchtig beim Notieren dieser Variation(en)?

    So schließt mit Dank für die Anregung und ebenso herzlichem wie fragendem Gruß
    Ihr
    Michael Struck

  3. Peter Schnur sagt:

    Das ist in der Tat eine Stelle, die sich beim Spielen etwas unrund anfühlt. Als Musiker, der sowohl im klassischen, als auch im Jazzumfeld zu hause ist fühle ich mich mit dem H# wohler, improvisiert man als Jazzer doch instinktiv über einen verminderten Vierklang (im vorliegenden Fall C# E G Bb) mit einer Ganzton-Halbton-Skala, welche das H# (und nicht das H) beinhalten würde.
    Ein Querstand von H# zu Bb bei Mozart? Das wäre eine doppelt verminderte Oktave -> zu modern, um wahr zu sein? Oder vielmehr ein Beweis für Mozarts Genie?

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