Das deut­sche Kunst­lied er­freut sich ja be­kannt­lich nicht nur im deutsch­spra­chi­gen Raum gro­ßer Be­liebt­heit – und so stellt sich bei Lied-Aus­ga­ben mit deut­schen Tex­ten immer wie­der die Frage, ob man nicht für den in­ter­na­tio­na­len Markt eine Über­set­zung des Ge­dich­tes bei­ge­ben oder wo­mög­lich einen Ge­sangs­text in an­de­rer Spra­che un­ter­le­gen soll­te. Dass sol­che Über­le­gun­gen nicht erst mit dem „glo­bal tra­ding“ un­se­rer Zeit auf­ka­men, son­dern die Ver­le­ger schon vor 200 Jah­ren um­trie­ben, lässt sich am Bei­spiel von  Lud­wig van Beet­ho­vens Ade­lai­de er­se­hen.

Ade­lai­de

Ein­sam wan­delt dein Freund im Früh­lings­gar­ten,
Mild vom lieb­li­chen Zau­ber­licht um­flos­sen,
Das durch wan­ken­de Blü­ten­zwei­ge zit­tert,
Ade­lai­de!

In der spie­geln­den Flut, im Schnee der Alpen,
In des sin­ken­den Tages Gold­ge­wöl­ken,
Im Ge­fil­de der Ster­ne stralt dein Bild­nis,
Ade­lai­de!

Abend­lüft­chen im zar­ten Laube flüs­tern,
Sil­ber­g­löck­chen des Mais im Grase säu­seln,
Wel­len rau­schen, und Nach­ti­gal­len flö­ten:
Ade­lai­de.

Einst, o Wun­der! ent­blüht, auf mei­nem Grabe,
Eine Blume der Asche mei­nes Her­zens;
Deut­lich schim­mert auf jedem Pur­pur­blätt­chen:
Ade­lai­de.

(Ham­bur­ger Musen Al­ma­nach für 1790,
hrsg. v. Jo­hann Hein­rich Voss, S. 65 f.)

Beet­ho­ven hatte seine Ade­lai­de be­reits 1797 bei Ar­ta­ria in Wien mit einer Wid­mung an den Autor des Tex­tes, Fried­rich von Mat­t­his­son (1761–1831), ver­öf­fent­licht. Warum er dem da­mals sehr po­pu­lä­ren Dich­ter dann erst drei Jahre spä­ter ein Ex­em­plar der Aus­ga­be über­sand­te, konn­te er selbst in sei­nem An­schrei­ben an Mat­t­his­son nicht recht er­klä­ren. Um so herz­li­cher bat er den „Ver­eh­rungs­wür­digs­ten“ aber im Au­gust 1800, seine Gabe nun „als Zei­chen […] mei­ner Dank­bar­keit und Hoch­ach­tung für das See­li­ge Ver­gnü­gen, was mir ihre poe­sie über­haupt immer mach­te und noch ma­chen wird“, an­zu­neh­men. Mat­t­his­son wie­der­um scheint Ge­fal­len an der Ver­to­nung ge­fun­den zu haben – auch wenn er seine Ade­lai­de ver­mut­lich kaum wie­der er­kann­te in der von or­tho­gra­phi­schen Feh­lern strot­zen­den Ar­ta­ria-Aus­ga­be.

Aus­ga­be Ar­ta­ria, Beet­ho­ven-Haus Bonn

Gleich­wohl ver­merk­te er in einer 1811 er­schie­nen Neu­aus­ga­be sei­ner Ge­dich­te zur Ade­lai­de wohl­wol­lend: „Meh­re­re Ton­künst­ler be­seel­ten die klei­ne ly­ri­sche Phan­ta­sie durch Musik; kei­ner aber stell­te, nach mei­ner in­nigs­ten Über­zeu­gung, gegen die Me­lo­die den Text in tie­fe­re Schat­ten als der ge­nia­le Lud­wig von Beet­ho­ven zu Wien.“ Beet­ho­ven selbst scheint indes we­ni­ger zu­frie­den ge­we­sen zu sein mit dem – auch in mu­si­ka­li­scher Hin­sicht – recht feh­ler­haf­ten Erst­druck. Das legen je­den­falls die bei­den 1803/04 bei Hoff­meis­ter & Küh­nel in Wien und bei Sim­rock in Bonn er­schie­ne­nen Aus­ga­ben der Ade­lai­de nahe.

Aus­ga­be Hoff­meis­ter & Küh­nel, Beet­ho­ven-Haus Bonn

Aus­ga­be Sim­rock, Beet­ho­ven-Haus Bonn

 

Wie Helga Lüh­ning bei der Edi­ti­on des Lie­des in der Beet­ho­ven-Ge­samt­aus­ga­be dar­legt, wei­sen beide Aus­ga­ben klei­ne mu­si­ka­li­sche Dif­fe­ren­zen zur Ori­gi­nal­aus­ga­be auf, die ei­gent­lich nur auf  den Kom­po­nis­ten zu­rück­ge­hen kön­nen. Sie hält es daher für sehr wahr­schein­lich, dass diese Aus­ga­ben in Rück­spra­che mit Beet­ho­ven ent­stan­den und folg­lich au­to­ri­siert sind.

Al­ler­dings un­ter­schei­den sich die bei­den Aus­ga­ben von 1803/04 auch noch in einem an­de­ren As­pekt von der Ori­gi­nal­aus­ga­be Ar­ta­ri­as: sie sind zwei­spra­chig. Die Wie­ner Aus­ga­be ent­hält zu­sätz­lich eine ita­lie­ni­sche Über­set­zung, die Bon­ner eine fran­zö­si­sche. Dies war lo­ka­len Ge­ge­ben­hei­ten ge­schul­det: In Wien war der vom Habs­bur­ger Hof dik­tier­te Ge­schmack in Sa­chen Vo­kal­mu­sik ita­lie­nisch – hier si­cher­te sich Hoff­meis­ter & Küh­nel also mit sei­ner Über­set­zung einen Wett­be­werbs­vor­teil ge­gen­über der „ein­spra­chi­gen“ Aus­ga­be Ar­ta­ri­as. Zudem war ita­lie­nisch auf in­ter­na­tio­na­ler Ebene die Spra­che der Musik –  kein Wun­der also, dass die erste Lon­do­ner Aus­ga­be der Ade­lai­de (Mon­za­ni & Co., 1811) die­sen ita­lie­ni­schen Text gleich über­nahm.

Ade­lai­da

Nel gi­ar­di­no so­lin­go và’l tuo bene
dol­ce­men­te di rosea luce spar­so
che fra tre­mo­le fron­di si dif­fon­de
Ade­lai­da!

Nel cris­tal­lo del rio, sù nell’Alpi,
nell’au­ra­te del dì ca­den­te nubi
nelle stel­le ris­ple­nde il tuo sem­bi­an­te
Ade­lai­da!

Nelle te­ne­re fron­di gar­ron l’aure,
e susur­ran del Mag­gio le vio­let­te,
l’onde fre­mo­no e canta l’usi­gnuo­lo
Ade­lai­da!

Pro­di­gio­so ri­nas­ce sulla tomba
dalle ce­ne­ri del mio cor un fiore
’ve sù fo­g­lie por­po­ree tralu­ce
Ade­lai­da!

Im Rhein­land da­ge­gen brach­te die da­ma­li­ge Be­set­zung durch Na­po­le­ons Trup­pen eine Hin­wen­dung zu Frank­reich mit sich – wes­we­gen Sim­rock nicht nur den Titel der Aus­ga­be ins Fran­zö­si­sche über­trug, son­dern auch den Text der Ade­lai­de. Eine Ver­ständ­nis­hil­fe bot der al­ler­dings nur be­dingt, denn im Ge­gen­satz zur ita­lie­ni­schen Über­set­zung geht die fran­zö­si­sche recht frei mit der Vor­la­ge um, ver­wen­det an­de­re Na­tur­bil­der und wech­selt zudem die Per­spek­ti­ve: Aus der ge­fühl­vol­len, aber dis­tan­zier­ten Be­ob­ach­tung „Ein­sam wan­delt dein Freund im Früh­lings­gar­ten“ (ita­lie­nisch: „Nel gi­ar­di­no so­lin­go và’l tuo bene“) wird hier „Dans ces ha­meaux c’est l’amour qui me guide“ – womit der Sän­ger den Freund Ade­lai­des nicht mehr be­singt, son­dern selbst ver­kör­pert.

Für den Vor­trag mag dies ganz neue An­rei­ze ge­ge­ben haben, der ge­zähm­ten Em­pha­se von Mat­t­his­sons Ge­dicht wird der Text je­doch kaum ge­recht. Ja, die mu­si­ka­lisch durch den Wech­sel zum Al­le­gro molto her­vor­ge­ho­be­ne Schluss­apo­theo­se „Einst, o Wun­der! ent­blüht auf mei­nem Grabe / Eine Blume der Asche mei­nes Her­zens“ gerät im Fran­zö­si­schen mit den von „Non, ja­mais! on ne me verra chan­ger“ ein­ge­lei­te­ten Treue­schwü­ren schon bei­na­he zur Ka­ri­ka­tur.

Ade­lai­de

Dans ces ha­meaux c’est l’amour qui me guide;
J’y viens jouir des beaux jours du prin­tems;
J’y viens amis! célébrer par mes chants,
Ade­lai­de!

Je te vois en tous lieux objet de mes feux!
Au haut des cieux, sur la plai­ne li­qui­de;
Je te vois sur nos coteaux; sur ces or­meaux je lis le nom
D’Ade­lai­de!

Le ros­si­gnol, in­struit à le chan­ter
Le pas­se­reau, la fau­vet­te ti­mi­de,
Dans leurs con­certs, en­t­en­dez les répéter,
Ade­lai­de!

Non, ja­mais! on ne me verra chan­ger,
Qui pour­rait on lui préférer? peut on être per­fi­de?
Peut on chan­ger? quand on a juré d’aimer,
Ade­lai­de!

Wenn wir un­se­rer neuen Ein­zel­aus­ga­be von Beet­ho­vens Ade­lai­de (HN 1043) zwar die bei­den Aus­ga­ben von Hoff­meis­ter & Küh­nel und von Sim­rock neben der Ori­gi­nal­aus­ga­be von Ar­ta­ria zur Edi­ti­on her­an­ge­zo­gen wer­den, aber nur der deut­sche Text un­ter­legt wird, so hat dies al­ler­dings keine ge­schmack­li­chen Grün­de, son­dern streng phi­lo­lo­gi­sche: Zum einen war die Un­ter­le­gung mit zu­sätz­li­chen Über­set­zun­gen zu Beet­ho­vens Zeit nicht Sache der Kom­po­nis­ten, son­dern der Ver­le­ger – und wir haben kei­nen Hin­weis dar­auf, dass sich dies hier an­ders ver­hielt. Zum an­de­ren for­dert sie klei­ne Ver­än­de­run­gen an der Me­lo­die, bei denen mal ein Me­lis­ma auf­ge­spal­ten (z. B. bei „je lis le nom“ statt „dein Bild­nis“), mal eine auf­tak­ti­ge Figur zur voll­tak­ti­gen wird (z. B. bei „sù nell’Alpi“ für „im Schnee der Alpen“).

Aus­ga­be Hoff­meis­ter & Küh­nel, Beet­ho­ven-Haus Bonn

Aus­ga­be Sim­rock, Beet­ho­ven-Haus Bonn

Sol­che Ein­grif­fe be­tref­fen die mu­si­ka­li­sche Sub­stanz von Beet­ho­vens Kom­po­si­ti­on und soll­ten daher in den No­ten­text einer Ur­text-Aus­ga­be kei­nen Ein­gang fin­den. In Helga Lüh­nings aus­führ­li­chem Vor­wort zu die­ser Aus­ga­be hin­ge­gen wer­den sie na­tür­lich do­ku­men­tiert – nicht zu­letzt als frü­hes Zeug­nis ver­le­ge­ri­schen Be­mü­hens um die Ver­brei­tung der Ade­lai­de, die be­reits zu Beet­ho­vens Leb­zei­ten in über zwan­zig ver­schie­de­nen Aus­ga­ben er­schien und bis heute rund um den Glo­bus (in deut­scher Spra­che) zu sei­nen be­lieb­tes­ten Lie­dern ge­hört.

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2 Antworten auf »„Adelaide“ – ein Lied geht um die Welt«

  1. Sylvia Kreye sagt:

    Es ist erfreulich, dass der Henle-Verlag sich nun auch der “Adelaide” annimmt! Eine Urtext-Ausgabe dieser schönen Vokalkomposition van Beethovens ist in der Tat eine Bereicherung des Verlagsprogramms, die von Sängern und Sängerinnen sicherlich mit Spannung erwartet wird!

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