Maurice_Ravel_1925

Mau­rice Ravel (1875-1937), 1925 (Li­zenz: PD)

Mau­rice Ra­vels Kon­zert­rhap­so­die „Tzi­ga­ne“ liegt be­kannt­lich in drei Fas­sun­gen vor: in der ori­gi­na­len für Vio­li­ne und Kla­vier (April/Mai 1924), in der wenig spä­ter ent­stan­de­nen für Vio­li­ne und Or­ches­ter (Juli 1924) sowie in einer Ver­si­on für Vio­li­ne und Luthéal (Ok­to­ber 1924), eine da­mals so­eben erst ent­wi­ckel­te und rasch wie­der auf­ge­ge­be­ne Vor­rich­tung für Sai­ten­in­stru­men­te, die beim Ein­bau in Kla­vier oder Flü­gel die Er­zeu­gung neuer Klan­g­re­gis­ter er­mög­lich­te, wobei es Ravel hier vor allem auf die klang­li­che Imi­ta­ti­on des un­ga­ri­schen Cym­bals ankam.
Unter den we­ni­gen Auf­nah­men mit Vio­li­ne und Luthéal sei hier eine von 1995 mit Chan­tal Juil­let und Pas­cal Rogé emp­foh­len.


Bei der Vor­be­rei­tung der Neu­aus­ga­be der Fas­sung mit Kla­vier von „Tzi­ga­ne“ (HN 587) ge­riet eine Stel­le der Vio­li­ne aus der Schluss-Stret­ta in den Blick­punkt, die zu­nächst ein­deu­tig er­scheint, es aber bei nä­he­rem Hin­se­hen kei­nes­wegs ist.

Abb. 1: Klavierfassung, Takte 328–333.

Abb. 1: Kla­vier­fas­sung, Takte 328–333.

In allen ge­druck­ten Aus­ga­ben lau­ten die ers­ten vier Noten von Takt 331 (Be­ginn des Ac­ce­le­r­an­do) d3cis3cis3h2. Dies kor­re­spon­diert zwar mit dem nach­fol­gen­den Takt, al­ler­dings nur für die erste Takt­hälf­te. Da­ge­gen er­gibt sich aber eine ge­naue Ent­spre­chung zu Takt 329, da die Takte 328–329 un­mit­tel­bar wie­der­holt wer­den. Die Takte 329 und 331 sind also gleich – bis auf die 2. Note, denn in Takt 329 lau­tet die Folge zu Be­ginn d3d3cis3h2. Könn­te hier trotz der Über­ein­stim­mung aller ge­druck­ten Quel­len nicht doch ein Druck­feh­ler vor­lie­gen?
Bei der Frage d oder cis als 2. Note in Takt 331 hilft nur der Blick in die Hand­schrif­ten. Und tat­säch­lich: Im Au­to­graph der Or­ches­ter­fas­sung no­tier­te Ravel in Takt 331 ein­deu­tig d3, nicht cis3:

Abb. 2: Autograph der Orchesterfassung, Takte 330–333.

Abb. 2: Au­to­graph der Or­ches­ter­fas­sung, Takte 330–333.

Warum aber er­scheint dann, wie nach­ste­hend zu sehen, in der Erst­aus­ga­be der Or­ches­ter­fas­sung wie­der cis3?

Abb. 3: Orchesterfassung, Takte 330–332

Abb. 3: Or­ches­ter­fas­sung, Takte 330–332.

Wie ei­ni­ge mar­kan­te Über­ein­stim­mun­gen be­le­gen, dien­te bei der Druck­le­gung der So­lo-Vio­li­ne in der Or­ches­ter­fas­sung nicht Ra­vels Au­to­graph, son­dern die ge­druck­te So­lo-Stim­me aus der Kla­vier­fas­sung als Vor­la­ge – oder aber die So­lo-Stim­me wurde nach­träg­lich an die­je­ni­ge der Ori­gi­nal­fas­sung an­ge­gli­chen.
Die Frage, ob d oder cis die rich­ti­ge Note ist, ver­la­gert sich damit auf die Ori­gi­nal­fas­sung. Letz­te Klar­heit könn­te nur der Blick in das Au­to­graph die­ser Ori­gi­nal­fas­sung brin­gen – wenn er denn mög­lich wäre. Laut einer in den 1960er Jah­ren er­stell­ten In­ven­tar­lis­te be­fin­det sich die­ses Au­to­graph – ge­nau­er ge­sagt han­delt es sich sogar um zwei Hand­schrif­ten, ver­mut­lich ein ers­ter Ent­wurf sowie eine nach­fol­gen­de Rein­schrift – in der pri­va­ten „Collec­tion Ta­ver­ne“ (Mon­treux/Schweiz), die lei­der bis auf Wei­te­res un­zu­gäng­lich ist.
Daher ist zur Zeit die Frage nicht mit letz­ter Si­cher­heit zu klä­ren, aber viel spricht dafür, dass sich ein Feh­ler in den Ori­gi­nal­druck ge­schmug­gelt hat, der seit­her immer wie­der re­pro­du­ziert wurde.
Bis­lang hat­ten die Gei­ger ja keine Wahl, sie muss­ten, da alle Aus­ga­ben cis no­tie­ren, die­sen Ton spie­len. Wir schaf­fen nun Ab­hil­fe, denn Jean-François Mon­nard, der Her­aus­ge­ber un­se­rer im Früh­jahr 2014 er­schei­nen­den Neu­aus­ga­be, hat sich ent­schlos­sen, als 2. Note in Takt 331 d3 zu neh­men und in einer Fuß­no­te auf das ab­wei­chen­de cis3 in den Dru­cken hin­zu­wei­sen.

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